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Univerza v Ljubljani Filozofska fakulteta Oddelek za germanistiko z nederlandistiko in skandinavistiko

DIE NEUE LEIBLICHKEIT DES CHANDOSBRIEFS

Die körperlichen Auswege aus den Sprachkrisen der letzten zwei Jahrhundertwenden am Beispiel der Rezeption von Hofmannsthals "Ein Brief" Ende des 20. Jahrhunderts

 

Mentor: Dr. Neva Šlibar
Autor: Peter Purg
(A - nem; B - ang)  

 

Ljubljana, den 10. Juli 2000

 

"Den Verächtern des Leibes will ich mein Wort

sagen. Nicht umlernen und umlehren sollen sie mir,

sondern nur ihrem eignen Leibe Lebewohl sagen –

und also stumm werden."

Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra

 

  1. EINLEITUNG
  2. Als einen zentralen, tonangebenden Text der Wiener Moderne betrachtet die vorliegende Arbeit den so gennanten Chandosbrief von Hugo von Hofmannsthal und versucht in einem kritischen Forschungsüberblick auf die produktivsten Ansätze in der heutigen Rezeption des Werkes das Augenmerk zu richten. Neben einer bunten (obwohl thematisch motivierten) Palette der Auseinandersetzungen mit dem Chandosbrief werden die einzelnen peripher zum Thema liegenden Texte wie z. B. neuere medien- und körperästhetische sowie philosophische Schriften der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Betracht gezogen. Eine breitere Entfaltung der bisher unbeachteten oder unterschätzten philosophischen Schwerpunkte und Verknüpfungen soll nicht nur den philosophischen Hintergrund des Chandosbriefs klären, sondern vor allem zu einer fruchtbaren Problematisierung seines heutigen Verstehens beitragen. Durch die Auseinandersetzung mit einem Teil seiner Rezeption und unter Betrachtung einiger anderer relevanter Aspekte wird nach aktuellem Begreifen, nach wertvollen Anregungen im und um den Chandosbrief gesucht, wobei "die leibliche Dimension der Sprache in ihrer für die menschliche Sprachlichkeit konstitutiven Bedeutung" als Zentralthema besonders in Erwägung gezogen wird.

    Die in der bisherigen Forschung verschiedenst gedeuteten Begriffe des Sprachzweifels und der daraus stammenden Hofmannsthalschen Sprachkrise werden entlang der gesamten Argumentation als die Hauptthematik des Chandosbriefs beibehalten. Die Auswahlkriterien der einbezogenen Forschungsarbeiten reichen nicht nur bis an die Überlappung von Sprachkrise und Leiblichkeit im Chandosbrief und im Werke Hofmannsthals, sondern umrahmen auch die das enge Thema nicht direkt ansprechenden Werke, die aber einen gewichtigen Einfluss auf die Rezeption des Textes und dadurch auch seines Dichters ausgeübt haben. Eine komplexere Annäherung aus mehreren Seiten entspricht so den Bestrebungen der vorliegenden Arbeit, an einem zwar beschränkten, obwohl oft und gründlich bearbeiteten Beispiel neuer, produktiver Anregungen in der Hofmannsthal-Forschung gewahr zu werden und sie zu erläutern. Damit sollte der aktuelle Wert des Chandosbriefs nach einem Jahrhundert verschiedenstartiger Auseinandersetzungen unter einem spezifischen Blickwinkel beurteilt werden. Im Sinne einer Übersicht des aktuellen Forschungsstandes zum oben einigermaßen eingegrenzten - obwohl wegen seiner Immanenz nie völlig sprachlich definierbaren - Thema wird überwiegend auf die neueren Werke und ihre Ansätze eingegangen. Dadurch wird eine spezifische Lesartendynamik des Chandosbriefs in den letzten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts angedeutet, wobei auch die Physis nicht einbeziehende, stellenweise sogar negierende Auslegungen des Textes als Kontrast einbezogen werden sollen.

    Im Vergleich zu den vorangehenden Arbeiten erscheint der im ersten Teil der Arbeit behandelte philosophische Hintergrund vielleicht unproportional. Jedoch soll an dieser Stelle auf die Tatsache eingewiesen werden, dass sich nicht nur der behandelte Text selbst, sondern vielmehr die ihn behandelnde Sekundärliteratur sowohl den (kanonisierten) philosophischen Einflüssen der Textproduktion verpflichtet sieht, als auch selbst ihren eigenen philosophischen Prämissen - oft ohne sich dessen gewahr zu werden - zum Opfer fällt. Im Geiste der positiven Sprachkritik Peter Kampsits wird angenommen, "daß die Philosophie ein Kampf ist gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache". Von den philosophisch angesetzten Lesarten erwartet die vorliegende Arbeit u. a. einen gewichtigen Beitrag zur Klärung der Leiblichkeit bei Hofmannsthal, wobei den eventuellen Schnittpunkten mit dem Chandosbrief der Vorrang gegeben wird.

    Den zweiten Teil der Arbeit nimmt ein Versuch der Annäherung an den Chandosbrief durch seine Rezeption ein. Im Gegensatz zum Großteil der Sekundärliteratur - mit der sie sich auch in erster Linie beschäftigt - erstrebt die vorliegende Arbeit keinen neuen Beitrag zur direkten, "hautnahen" Auslegung des Chandosbrief-Textes. Viel mehr versucht sie die ergiebigsten Ansätze der neueren Forschung auszusondern, um innerhalb des gesetzten Rahmens ihren eventuellen literaturtheoretischen Wert bestimmen zu können. Letztlich werden die im Vorigen ergründeten Lesarten nochmals aufgegriffen und mit neueren körperästhetischen Ansätzen zusammengeführt. Der Chandosbrief wird samt seiner Rezeption und unter Berücksichtigung des gesamten philosophischen Hintergrunds (sowohl der Produktion als auch der Rezeption des Textes) im Lichte der spezifischen, das Körperliche akzentuierenden kunstästhetischen Situation am Bruch eines neuen Jahrhunderts erfasst. Eine derartige Zusammenfassung dieses Teils der Hofmannsthal-Forschung entdeckt nicht nur verblüffende Ähnlichkeiten zwischen den beiden Jahrhundertwenden, sondern erschließt auch einige parallele Auswege aus deren (Sprach)Krisen.

  3. EIN ERSTES BLICK IN DIE LEIBLICHKEIT
  4. Dieser Teil der Arbeit dient als Einführung in das oben eingegrenzte Thema und stützt sich darin überwiegend auf die Arbeit von Bettina Rutsch. So erfolgt eine Skizzierung des "oberen Endes" des Forschungsstands, die eine eher unorthodoxe Basis für die im Nachhinein folgende Behandlung der Philosophie und weiterhin der Chandosbrief-Rezeption bieten sollte. Dem Werk Rutschs wäre m. E. die bisher konsequenteste - obwohl vielleicht nicht facettenreichste - Festlegung einer zusammenhängenden (körperlichen) Symptomatik der neueren Hofmannsthal-Forschung zu entnehmen, womit es sich als die gewichtigste Auseinandersetzung mit dem Chandosbrief für die vorliegende Arbeit eignet. In den Vordergrund sollen jedoch nur diejenigen Ansätze gestellt werden, die für die Argumentation ein ausschlaggebendes Reaktionspotential mit anderen hier einbezogenen Texten ergeben können.

    Rutsch klärt die Einstiegsposition ihrer Untersuchung der Leiblichkeit bei Hofmannsthal gleich mit einem gewagten Schritt aus dem tradierten Rahmen der menschlichen Sprachlichkeit. Die durchgehende Paradoxie an der Überschneidung von Wort und Körper weitet sie vom kommunizierenden Menschen gezielt auf die Literaturwissenschaft aus, wodurch ihre Methode zunächst widersprüchlich und eher radikal klingt:

    "Soll also die leibliche Dimension der Sprache in ihrer für die menschliche Sprachlichkeit konstitutiven Bedeutung wirklich ernst genommen und ihr Erfahrungs- und Erkenntnispotenzial für die Literaturwissenschaft fruchtbar gemacht werden, so muß die interpretatorische Bemühung dahin gehen, ihr innerhalb der literaturwissenschaftlichen Argumentation einen Freiraum zu eröffnen, der nicht primär durch das Wort beherrscht ist." (Rutsch, S. 1)

    Die Autorin versucht sich dem Werke Hofmannsthals nicht nur literaturtheoretisch, sondern auch auf einem zunächst gefährlich offen wirkenden, später jedoch genügend begründeten und zur Geltung gebrachten eigenen Wege des "erkennenden Empfindens" (Rutsch, S. 7) als Tänzerin und Koreografin anzunähern. Dadurch begibt sie sich auf die Suche nach einem Umweg, der sie nicht - wie viele vor, aber auch nach ihr - in die Schlinge des Körper als Nicht-Wort führen würde. Auf eine innovative, obwohl stellenweise schwer nachvollziehbare Weise, spürt sie Hofmannsthal nach und versucht festzustellen, "in welchem Maße dem Dichter die Macht ebenso wie die Ohnmacht der Worte, ihre schöpferische wie trügerische Magie erfahrene Tatsache und literarisches Thema sind. Denn unweigerlich führt die Beschäftigung mit dem leiblichen Anderen der Sprache auf direktem Weg in das Zentrum des Komplexes der ‘Sprachkritik’, des Zweifels an der Bedeutungshaftigkeit und Verbindlichkeit der Worte." (Rutsch, S. 2f). Die für Hofmannsthal weitgehend wichtige Rolle des Körpers in seiner Sprachkritik formuliert sie folgenderweise: "Die Sprache entfernt sich in dem Maße von der (Körper-)Welt wie das leibliche Individuum aus der Sprache verschwindet – wobei die Möglichkeit einer Rückkehr offen bleibt. Sprachkritik bedeutet demnach erneutes, präzises Erinnern an die physische Situation des sprachlichen Menschen im Welt-Kontext." (Rutsch, S. 89)

    Schon in Ansätzen warnt Rutsch vor dem Verfallen einer Polarität zwischen Sprache und Körper und betont die (den diesbezüglich nebulösen Ambivalenz-Begriff übertreffende) Dynamik des Hofmannsthalschen Verhältnis zum sprachlichen Ausdruck durch die Metapher der Wippe, wobei sie auch die beliebte Gleichstellung von Autor und seiner erdichteten Figur des Lord Chandos bezweifelt:

    "Lord Chandos versagt sich zwar der sinnentleerten Sprache der Worte; ihm bleibt nur übrig zu schweigen. [...] Hofmannsthal aber, dem Dichter, bleiben auch nach dem Chandos-Brief nur Worte – um über die Verbrauchtheit zu klagen und doch immer wieder [...] ihre all-umfassende Magie zu beschwören. Das so sich darstellende Verhältnis könnte etwa durch das Bild einer ständig zur einen oder anderen Seite kippenden Wippe veranschaulicht werden, die sich nur in den Momenten vor dem erneutem Umschlag im Gleichgewicht befindet." (Rutsch, S. 3)

    Der bisherigen Forschung wirft Rutsch lapidar die falsche Einschätzung der Hofmannsthalschen Sprachkritik vor (Rutsch, S. 4): Unsensibilität gegenüber dem Anderen der Körpersprache und mangelndes Verständnis für deren Beschaffenheit und spezifische Wirkungsmöglichkeiten würden einerseits den Blick auf die Radikalität des Sprachzweifels Hofmannsthals verstellen, der keineswegs nur auf eine bloße Verlagerung innerhalb verschiedener Schichten verbalen Ausdrucks zielt, sondern auf eine vermeintlich wirkliche Transparenz des Wortes für die physische Realität, was - bei der Autorin anfangs noch äußerst inkonsequent - auf spätere Ausführungen zum Begriff der Epiphanie (auch in der vorliegenden Arbeit) anknüpft. Andererseits sollten, so Rutsch, auch diejenigen Deutungsmodelle, welche die Sprache des Körpers zu einem Gegenprinzip des Verbalen verabsolutieren, die Tragweite der Hofmannsthalschen Sprachkritik verkürzen, indem sie dort innehalten, wo Hofmannsthals positives Sprachverständnis jenseits einer Trennung von Wort und Gebärde, Sprache und Körper erst einsetzt. Die vorliegende Arbeit strebt u. a. an, für den hier vorgeworfenen Mangel eine Kompensation zu bieten bzw. auf die bisher unbeachteten und gewinnbringenden Anknüpfungen zu verweisen. Den kritischen Bogen schließt Rutsch mit der Zusammenfassung, dass keine ihr "bekannte Deutung des ‚Briefs‘ die im Text durchgängig präsente Physis-Dimension in den Erlebnissen des Lords als relevante sprachliche Kategorie so weit akzeptiert, um in ihr das entscheidende Kriterium für die Neuartigkeit der Hofmannsthalschen kritischen Sprachauffassung zu erkennen." (Rutsch, S. 44).

    Für die Anregungen zur Wiedereroberung einer Sprache Hofmannsthals, die jenseits der Polarität zwischen (Körper)Welt und Wort(Sprache) liegt, verpflichtet sich die vorliegende Arbeit also größtenteils gerade Bettina Rutsch. Ihr Versuch, die beiden Dimensionen zusammen zu führen, erscheint dem Verfasser dieser Arbeit als der fruchtbarste in der bisherigen Chandosbrief-Forschung, obwohl einige Akzentsetzungen zu verschieben und der körperlich-philosophische Horizont noch um einiges zu erweitern wären, was sowohl in der vorliegenden als auch in der ferner anvisierten Arbeit des Verfassers realisiert werden sollte. Rutschs Absicht, das Wort "zum Medium des Leiblichen zu machen" (Rutsch, S. 10) gründet auf der - besonders noch für die Erschließung des Chandosbriefs - wichtigen Prämisse, "daß es (bei Hofmannsthal, P. P.) einen Auseinanderfall von Sprache und Leib auf ontologischer Ebene nicht gibt, daß er einen geschichtlich bedingten, möglichen, keineswegs aber notwendigen und irreversiblen Bewußtheitszustand markiert und schon gar nicht eine anthropologische Konstante." (ebda.)

    Das Neue an der Hofmannsthalschen Sprachauffassung liegt für Rutsch im (ihrerseits mit einigermaßen verblendender metaphysischer Einseitigkeit belichteten) "eigentümlichen Wirkungszusammenhang von sprachkritischer Weltentfremdung und weltverschlungener Sprachlichkeit des physisch begrenzten und zugleich durch seine Physis grenzenlos kommunikativen Individuums" (Rutsch, S. 36), der in den bisherigen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Chandosbrief übersehen wurde. Denen wirft sie weiter eine "terminologische Verwischung" (Rutsch, S. 43) vor und erhebt Anspruch auf "Erhellung Hofmannsthalscher Semantik" (ebda.), da die bisherigen zahlreichen Abhandlungen noch immer kein zusammenhängendes Bild davon ergeben, "was die allgemein zugänglich erscheinenden Begriffe ‘Sprachkritik’, ‘Individuum’, ‘Leiblichkeit’, ‘Tanz’, ‘Zeremonie’ und ‘Symbol’ speziell im Werk Hofmannsthals bedeuten" (ebda.). Rutsch verweist hier auf einige in der Hofmannsthal-Forschung besonders empfindliche Gebiete, die aber an dieser Stelle trotz ihrer eventuellen thematischen Relevanz nicht weiter erforscht werden, da der Rahmen der vorliegenden Arbeit dazu nicht ausreicht.

    In ihrer Auffassung der Leiblichkeit versucht sich Rutsch so nahe wie möglich an Hofmannsthal zu halten. Nach einer Auseinandersetzung mit mehreren sowohl philosophisch-essayistischen als auch literarischen Texten Hofmannsthals erarbeitet sie sich eine (gerade im Chandosbrief am leichtesten zugängliche) Körperlichkeit, die dem "bereits desintegrierten Individuum" Chandos den Weg aus der "existentiell erfahrenen Isoliertheit" (Rutsch, S. 133) wieder frei gibt. Die Zuspitzung der Sprachkrise und ihren Ausweg im Körper erfährt das Individuum im

    "augenblickhaften [...] Durchbruch zum Sein, zur Gemeinschaft mit den Menschen und den Dingen, zum Ewigen. In dieser Weise konzentriert sich sowohl das Problem der universalen Entfremdung als auch das Ringen um die Rückgewinnung eines verbindlichen kommunikativen Weltbezugs, eines Kon-textes zum Text der persönlichen Geschichte und zum Gewebe des individuellen Körpers, in letzter Konsequenz auf den unmittelbaren Bereich des Individuums: dorthin nämlich, wo es durch seine Physis an die Vorgaben des Raums und der Zeit gebunden ist." (Rutsch, S. 134)

    So gelangt Rutsch an die Epiphanie als die "spezifisch Hofmannsthalsche Vermittlung zwischen Individuum und Welt" (Rutsch, S. 135) und benutzt sie in ihren leiblich betonten Lesarten immer wieder spezifisch - als den Schlüssel zu den Texten Hofmannsthals, vor allem aber zum Chandosbrief. Weitere Ausführungen zum Begriff der Epiphanie folgen in den Kapiteln 4. 2. und 5. 1. der vorliegenden Arbeit, wo die Aktualität der "Augenblicke" Chandos’ - als nicht nur literarisch gekonnt formulierter Zeitgeist und für den (Jahrhundertwende)Menschen rein körperlich nachvollziehbares Signal der Sprachkrise, sondern auch möglicher Ausweg aus derselben bzw. derer Gewinn - noch besonders zum Tragen kommt.

  5. 1. NEUERES ZUR PHILOSOPHIE DER JAHRHUNDERTWENDE

Einer allzu trockenen, literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung im schwer überblickbaren Raum der Sekundärliteratur zum Chandosbrief versucht die vorliegende Arbeit zuerst durch Befruchtung mit der Philosophie eine Alternative zu bieten. Als eine Anbahnung an der ergiebigen Schnittfläche der Philosophie und der Chandosbrief-Rezeption könnte der Begriff der "kosmischen Isolation" gelten, der eigentlich eine auf den Chandosbrief gemünzte Auffassung der "kommunikativen Aporien" Nietzsches ist, die eben im Text Hofmannsthals überwunden werden. Das Letztere erfolgt auf einem in der bisherigen Rezeption offenbar noch nicht gegangenem Weg der individuellen körperlichen Erfahrung; Bettina Rutsch formuliert ihren (sonst höchstwahrscheinlich originellen) terminologischen Beitrag in Bezug auf Nietzsches "Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne". Dabei verfängt sie sich aber gerade in die oben bestrittene Polarität, die vorläufig auf keine positive Lösung der Sprachkrise schließen lässt:

"Wenn die Realität der menschlichen Sprache nicht zugänglich ist, der Mensch aber nur als sprachliches Wesen existieren kann, so muß er sich zwangsläufig in der Welt wie in einem Spiegelkabinett bewegen, bleibt er lebenslang in einem narzißtischen Zustand auf sich bezogen. Insofern gerät er in eine kosmische Isolation, aus welcher so lange kein Weg hinausführt, als die Prämisse der sprachlichen Autonomisierung des Menschen innerhalb einer seiner Sprachlichkeit verschlossenen Welt nicht durch eine plausible neue ersetzt werden kann.

[...]

Auf der mit Nietzsche erreichten Stufe kritischer Sprachreflexion wird nun die Frage unabweisbar, ob nicht allein der in einer bestimmten (begrifflich-abstrakten) Art sprechende, sondern der überhaupt sprechende Mensch in seinem Bemühen an Dinge heranzukommen, sich unweigerlich von ihnen entfernt, weil die Sprache als solche eine andere als anthropozentrische und subjektivistische Weltsicht nicht zu transportieren vermag." (Rutsch, S. 55ff)

Die oben genannte Schrift Nietzsches wird in der Chandosbrief-Forschung oft in Betracht gezogen und öffnet auch hier einen gut eingegrenzten Raum für die Bewertung verschiedener Auffassungen des spezifisch Sprachkritischen in diesem unübersehbar divergent behandelten Text Hofmannsthals. Mit einer "hautnahen" Interpretation Nietzsches und einer starken Betonung der Leiblichkeit bereitet Rutsch einen fruchtbaren Boden für weitere Parallelen zwischen Nietzsche und Hofmannsthal. Auf philosophischer Basis beruht aber nicht nur das Werk Rutschs, auch die vorliegende Arbeit wählt die Folie der Philosophie als den bisher - trotz zahlreicher, meistens aber unzulänglicher Instrumentalisierungen - vielleicht noch nicht genügend ausgeschöpften Raum für die Erläuterung der sprachkritischen Position im Chandosbrief, vor allem aber seiner unmittelbaren Aktualität. Durch die (wegen des vorgegebenen Rahmens leider noch immer skizzenhaften) Auseinandersetzung mit einzelnen Philosophen, die den Chandosbrief bzw. seine Sprachkritik betreffen, wird ein Versuch gemacht, die Physis mit einem neuartig kombinierten Instrumentarium in die Argumentation einzubringen.

  1. 1. 1. NIETZSCHE IN DER NEUEREN FORSCHUNG

Wie schon oben erwähnt, bieten die Schriften Friedrich Nietzsches einen zuverlässigen Anhaltspunkt vor allem für die früheren Schriften Hofmannsthals. Bei den Untersuchungen zum Chandosbrief tritt Nietzsche immer wieder als der philosophische "Pate" der kommunikativen Aporien Chandos‘ auf, was aber m. E. auch für die (körperlich weniger betonten) Epiphanien anzunehmen wäre. In diesem Zusammenhang wäre innerhalb der neueren Forschung an erster Stelle das Werk Jürgen Sandhops zu erwähnen. Bezug darauf nimmt auch ein für die vorliegende Arbeit unübersehbarer Text Jürgen Schiewes, "Schriftsteller in der Sprachkrise", wie auch seine weiteren Ausführungen zur Geschichte der Sprachkritik.

Sandhop bemüht sich um einen "Beitrag zur Klärung der Schopenhauer- und Nietzsche-Rezeption im Werk Hofmannsthals" und weist so als erster der Philosophie Schopenhauers eine wichtigere Rolle in der Hofmannsthal-Forschung zu. Auf die Verknüpfung zwischen den beiden bahnbrechenden Philosophen des 19. Jahrhunderts lässt sich die vorliegende Arbeit im Kapitel 3. 1. 4. näher ein. Im Zusammenhang mit dem Chandosbrief behandelt Sandhop Nietzsche tiefer greifend als seine Vorgänger, indem er sich weit über "Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinn" hinaus auf "Die Geburt der Tragödie", eine viel umfangreichere und poetologisch gewichtigere Grundschrift Nietzsches, bezieht. In Bezug auf Nietzsches Sprachkritik und kontrastiv zu Sandhop wäre vielleicht der argumentative Bogen Schiewes zu verfolgen, der jedoch nur "Die Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinn" mit einbezieht und sich so lediglich innerhalb Nietzsches eigen(artig)er Metaphorik bewegt. M. E. illustriert dieser Zugriff auf Nietzsche eine durchschnittliche, stereotype Lesart seiner Sprachkritik, die zunächst dazu dienen soll, im Weiteren durch ein körperliches Verständnis überwunden zu werden:

"Gleich zu Beginn also destruiert Nietzsche die Auffassung, der Mensch als erkennendes Wesen sei der Mittelpunkt der Welt. Der Mensch ist nichts Besonderes, er ist nur ein Teil unter anderen, er ist ein Tier, das sich das Erkennen ‘erfunden’ hat. Das Erkennen ist somit nichts anderes als eine menschliche Kulturtechnik, mit der aber keinesfalls eine Verknüpfung zu dem Wesen der Dinge, zum ‘Ding an sich’, gegeben ist. Die Wahrnehmung des Menschen, seine Form des Erkennens, ist letztlich nicht ‘richtiger’ als die einer Mücke."

Es ließe sich bestreiten, ob die Deutung Schiewes auf dem Weg zu einer leiblichen Interpretation Nietzsches liegen könnte. Insofern ist es auch fraglich, ob Nietzsches Text selbst eine solche Lesart zulässt. Jedenfalls wurde der Einfluss Nietzsches, ja die Parallelität zwischen dem Chandosbrief und dem "Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinn" durch die vorangehende Forschung genügend bewiesen. Die vorliegende Arbeit nimmt sich u. a. auch vor, nach weiteren Verknüpfungsmöglichkeiten und Anregungen in der neueren Forschung zu suchen. Schiewe findet im Text Nietzsches eine eskapistische Art von Sprachkritik – die Lösung bleibt abseits des Körpers und verliert sich im ewigen Kreis der Flucht zur sprachlichen Metapher, im Sprachspiel:

"Jener Trieb zur Metaphernbildung, jener Fundamentaltrieb des Menschen, den man keinen Augenblick wegrechnen kann, weil man damit den Menschen selbst wegrechnen würde, ist dadurch, daß aus seinen verflüchtigten Erzeugnissen, den Begriffen, eine reguläre und starre neue Welt als eine Zwingburg für ihn gebaut wird, in Wahrheit nicht bezwungen und kaum gebändigt. Er sucht sich einen neuen Bereich seines Wirkens und ein anderes Flußbett und findet es im Mythus und überhaupt in der Kunst.

[...]

Der Mensch ist in seinem Erkennen stets auf die Sprache angewiesen, auf sie zurückgeworfen. Akzeptiert er den prinzipiell metaphorischen Charakter der Sprache nicht und versucht er, mittels Sprache eine allgemeingültige, objektive, d.h. die Dinge selbst vermeintlich erfassende Wahrheit zu formulieren, dann unterliegt er einem Fehlschluß. Dem Menschen ist es nicht möglich, objektive Wahrheiten zu erkennen, er selbst ist stets das Maß aller Dinge. Nietzsche löst den Begriff der Wahrheit von den Dingen los und verlagert ihn in den Menschen. Der einzelne Mensch legt die nun subjektive Wahrheit stets für sich selbst fest. Indem der Mensch den metaphorischen Charakter seiner Sprache erkennt und anerkennt, wird er frei zum Spiel mit der Sprache, zum Spiel mit den Signifikanten."

Mit diesem breit rezipierten und hier als Gegenpart einer körperlichen Lesart vorgestellten Werk wurde der Holzweg angedeutet, der immer wieder nicht nur an Nietzsche, sondern auch an der Leiblichkeit Hofmannsthals vorbei führt. Nach wertvollen Ansätzen könnte im Text Schiewes jedoch in den Richtungen Sprachspiel und Sprache-als-Trieb (in Verbindung mit dem Schopenhauerschen Wille-Begriff) gesucht werden, was aber den hier eher eng behandelten Sprachkrise-Begriff nicht mehr direkt betrifft. Im Gegensatz zu Schiewe entwickelt Rutsch eine Argumentation, die den Text Nietzsches dem Chandosbrief in einer leiblichen Lesart der beiden vielleicht am nächsten bringt: sie zeigt auf einen "spezifisch Hofmannsthalsche[n] Übergang von der mit Nietzsche erreichten zweiten Stufe der Sprachkritik zur dritten" (Rutsch, S. 82). Bei Nietzsche sind es noch die "animalischen und chaotischen Urgründe", Chandos macht einen bedeutenden Schritt weiter und verwirklicht sein menschliches Individuum, indem er laut Rutsch durch seinen Körper "zu seinen humanen oder gar sprachlichen Wurzeln gelangt". Unter den Medien für "neue Formen" oder sogar auf dem Weg zu einer neuen Auffassung des Individuums und seinen Ausdrucks ist der Körper in der Lesart Schiewes nicht zu finden. Vielleicht gerade wegen der zu engen Schießscharte, die dem menschlichen Ausdruck ohne Einbeziehung des Körpers zur Verfügung steht, dreht sich der Mensch Schiewes auf der Suche nach direkter Kommunikation im ewigen Kreis. Damit steht er symptomatisch für die Krise des kommunikativ frustrierten Individuums, der angesichts einer zunehmend diskursivierten Welt (zwischen den beiden Jahrhundertwenden als Eskalationen des Phänomens) nicht aus dem hermetischen Monologisieren im introvertierten Sprachspiel findet:

"Sprachkritik, so radikal sie auch sein mag und wenn sie auch die Sprache selbst negiert, führt immer wieder - erfolgreich - zur Sprache zurück. Das hat die Sprachkrise der Moderne aufgezeigt und damit die Sprache nicht nur kritisiert, sondern aus der Kritik heraus neue Impulse zu neuen Formen gegeben. Es sind Impulse, die Sprache als Spiel zu begreifen und mit ihr zu spielen."

Unmittelbar an Nietzsches optimistische Sprachkritik durch Kunst und Instinkt knüpft Fritz Mauthner (auf den im folgenden Kapitel näher eingegangen wird) in seinen "Beiträge[n] zu einer Sprache" und radikalisiert die sprachkritische Position: "Es ist unmöglich, den Begriffsinhalt der Worte auf die Dauer festzuhalten; darum ist Welterkenntnis durch Sprache unmöglich. Es ist möglich, den Stimmungsgehalt der Worte festzuhalten; darum ist eine Kunst durch Sprache möglich, eine Wortkunst, die Poesie.", denn "Nur die Narren, die verstehen und verstanden werden wollen, empfinden die Unzulänglichkeit der Sprache."

Ein hervorstechendes Beispiel von Nietzsches Auffassung des Körpers ist jedoch in seiner bekanntesten Schrift "Also sprach Zarathustra" zu finden, die aber erstaunlicherweise in der bisherigen Forschung noch nicht beachtet wurde. In dieser Schrift kommt m. E. Nietzsches spezifische Synthese von Literatur und Philosophie am überzeugendsten zum Ausdruck und eignet sich damit desto besser für die Abrundung dieses Kapitels. Sowohl die Metaphorik als auch die in "Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne" angemeldete künstlerische Intuition heben in diesem Werk den (sozusagen personifizierten) Leib mit "seine[r] große[n] Vernunft" als das "Selbst" des Menschen hervor, womit das Körperliche fast hierarchisch über das - eher als "Werk- und Spielzeug" der "leiblichen Vernunft" instrumentalisierte - Geistige gestellt wird. Das Ich entsteht bei Nietzsche also dynamisch, im körperlichen Tun und artikuliert auf diese Weise das Selbst:

"Aber der Erwachte, der Wissende sagt: Leib bin ich ganz und gar, und Nichts außerdem; und Seele ist nur ein Wort für ein Etwas am Leibe.

Der Leib ist eine große Vernunft, eine Vielheit mit einem Sinne, ein Krieg und ein Frieden, eine Heerde und ein Hirt.

Werkzeug deines Leibes ist auch deine kleine Vernunft, mein Bruder, die du "Geist" nennst, ein kleines Werk- und Spielzeug deiner großen Vernunft.

‘Ich’ sagst du und bist stolz auf dies Wort. Aber das Größere ist – woran du nicht glauben willst – dein Leib und seine große Vernunft: die sagt nicht Ich, aber thut Ich.

[...]

Hinter deinen Gedanken und Gefühlen, mein Brüder, steht ein mächtiger Gebieter, ein unbekannter Weiser – der heißt Selbst. In deinem Leibe wohnt er, dein Leib ist er.

Es ist mehr Vernunft in deinem Leibe, als in deiner besten Weisheit. Und wer weiß denn, wozu dein Leib gerade deine beste Weisheit nöthig hat?"

Hier beweist Nietzsche nicht nur den eindeutigen Einfluss des Gedankenguts Schopenhauers, sondern antizipiert auch die Emanzipation des Körpers durch das ganze 20. Jahrhundert. So bewirkte er nicht nur den Chandosbrief, vielleicht sogar stärker prägte er die leiblichen Lesarten des Chandosbriefs in den 90er Jahren. Den beiden Texten gemeinsam ist auch die epochenspezifische sprachkritische Position, wobei die Lösung der Krise sowohl bei Nietzsche als auch bei Hofmannsthal im Bereich zwischen Wort und Körper (oszillierend) gelesen werden könnte.

 

3. 1. 2. SPRACHKRITIK MAUTHNERS

Bevor in diesem Teil der Arbeit an die Texte von und über Fritz Mauthner eingegangen wird, sollte festgehalten werden, dass die Rezeption Mauthners durch das 20. Jahrhundert im Bezug auf Hofmannsthal durchaus keine Kontinuität stiftet. Sehr wenige sekundärliterarische Werke erwähnen weder im Bezug auf Hofmannsthal noch auf Nietzsche diesen vielleicht wichtigsten Sprachkritiker der Jahrhundertwende. Trotz seiner sowohl biographischen als auch künstlerisch-philosophischen Nähe zu Hofmannsthal steht Mauthner (wie oft auch Ernst Mach) im Schatten Nietzsches. Das intertextuelle Potential Mauthners und Machs als Sprachkritiker und -philosophen der Jahrhundertwende wird, noch mehr als bei Nietzsche, immer wieder unterschätzt bzw. nur zu oberflächlich behandelt.

Eine Ausgangsbasis für die neuere Rezeption von Mauthners Sprachkritik in einem weiteren Kontext liefert Walter Eschenbach in seinem Buch "Fritz Mauthner und die deutsche Literatur um 1900":

"Schweigen gehört zum dichterischen Medium Sprache fast ebenso wie die Pause zum musikalischen Medium der Töne und Klänge. Trotzdem ist es wichtig, sich zumindest die Rolle des Schweigens für das Phänomen der literarischen Skepsis klarzumachen.

Entscheidend sind dabei stets die jeweils besondere Betonung, Ausprägung, Struktur und Funktion dieser 'Antisprachlichkeit' (sic!). Zweifellos sind diese in der Epoche der Jahrhundertwende gedanklich und künstlerisch sehr fortgeschritten. Mauthner selbst hat auf seinen Zeitgenossen Maurice Maeterlinck hingewiesen, der eine Art 'Poetik des Schweigens' eingeführt habe. Mit Maeterlinck und anderen Autoren dieser Epoche begann recht eigentlich eine literarische Tradition der 'Sprache des Schweigens', wie sie Strindberg z.B. in seiner ‘Gespenstersonate’ charakterisiert hat [...]"

Eschenbach pflastert auch den Weg von Mauthner zu Hofmannsthal, indem er Chandos "Augenblicke" als unbezweifelte Beispiele der "Dingmystik" deutet, wobei er - auf dem Weg der Epiphanie - an die körperliche Lesart Hofmannsthals viel näher rückt als Schiewe in den oben angeführten Ausführungen:

"Als verdeutlichendes und veranschaulichendes Zeugnis für diese Mystik der Dinge, die direkte, sprachlose Kommunikation mit den Gegenständen, müssen wir noch einmal den Brief des Lord Chandos zitieren, der an einer Stelle über dieses außersprachliche Verhältnis zu den Dingen sehr ausführlich und eindringlich berichtet."

Laut Eschenbach ist Mystik "für Mauthner keine Alternative, die die Sprachkritik ablösen oder gar unnötig machen könnte. Sie ist nur ein potentieller Gegenentwurf, eine Möglichkeitskategorie, durch die der sprechende Mensch mit der sprachlosen Natur stets aufs neue konfrontiert und die Diskrepanz zwischen beiden deutlich gemacht werden soll." Vielleicht fanden Ansätze Mauthners den klarsten und auf Hofmannsthal am leichtesten applizierbaren Ausdruck schon in der kurz vor (!) der Entstehung des Chandosbriefs verfassten Schrift Gustav Landauers:

"Mauthner [...] ruft uns mit großem Hohn zu: Diese Dinge da draußen sind Dinge, weil Eure Sprache sie in die Form der Substantiva pressen muß, und ihre Eigenschaften sind Adjektiva und ihre Beziehungen regeln sich nach der Art, wie Ihr Eure Eindrücke auf Euch bezieht, nämlich in der Form des Verbums. Eure Welt ist die Grammatik Eurer Sprache. Wer aber, wenn Das einmal ausgesprochen ist, wird glauben wollen, daß es jenseits der Menschensprache noch etwas Substantivisches giebt, wo es ja sogar Sprachen mit anderen Kategorien, Köpfe mit anderen Weltanschauungen giebt!"

  1. 1. 3. BEITRÄGE ZU ODER VON ERNST MACH?

Als einer der ersten, die sich mit der Berührung zwischen Hofmannsthal und Ernst Mach auseinandergesetzt haben, wäre Gotthart Wunberg zu nennen, der auch einiges an psychologischen Ansätzen liefert. Laut Wunberg hat Mach auf Hofmannsthal, der als Student seine Vorlesungen besucht hat, mit Folgendem eingewirkt:

"Für Hofmannsthal speziell läßt sich manche auffallende Paralle zu Mach zeigen. Mach war der Überzeugung, daß das Ich analog zum Körper lediglich eine ‘ideelle denkökonomische, keine reelle Einheit’ darstelle. Mit anderen Worten: es ist praktischer, das Ich als Einheit anzunehmen, als es bleiben zu lassen; Realität kommt ihm deshalb aber noch nicht zu. Es setzt sich aus ‘Elementen’, wie er die Empfindungen nannte, zusammen; es handelt sicha (sic!) also nur um ‘vermeintliche Einheiten’, um ‘Notbehelfe’. Die Körper erzeugen nicht ‘Empfindungen, sondern Empfindungskomplexe (Elementarkomplexe) bilden die Körper’. Entscheiden ist für Mach allein die ‘Kontinuität’, die ‘langsame Änderung’ des Ich; nur auf ihr beruht seine ‘scheinbare Beständigkeit’. Was er in diesem Zusammenhang ausführt, zeigt entschiedene Affinitäten zu dem, was Hofmannsthal in seinen Tagebüchern schreibt."

Dieses eindeutige Ineinanderspielen der beiden Autoren lässt, unter hermeneutischer Einbeziehung des oben Erwähnten zu Nietzsche und Mauthner, auf einer Art Zeitgeist der Epoche schließen, den sie mit ihren philosophischen und literarischen Texten einkreisen. Die hier angesprochenen Ansätze dieser drei Philosophen stehen in enger Beziehung zum Werk Hofmannsthals, insbesondere zum Chandosbrief und sichern so eine feste Basis für die leiblich zentrierte Auseinandersetzung mit dem Text. Durch die philosophisch-physikalischen Ausführungen Machs und die "empiriokritizistisch" geschulten Sinne Chandos‘ erscheint alles nur noch als "Relation und Konvention".

Innerhalb seiner "Psychologie der Sinne" bekennt sich Mach mehr als einmal zum Körperlichen. Am deutlichsten zeigen sich m. E. die Erlebnisse Chandos, die "die Identität des physischen und psychischen Lebens (Empfindungen)" im Literarischen stiften, durch folgendes motiviert:

"Mein Körper beweglich im Raume, ist ebenfalls für mich etwas Sichtbares und Fühlbares, mit einem Wort ein Gegenstand, der sinnlich wahrnehmbar im Raum neben und außerhalb der anderen Körper und mit ihnen auf gleichen Stufe steht. Ohne von seinen individuellen Eigenschaften zu sprechen, unterscheidet sich mein Körper von anderen dadurch, daß die Berührung desselben Empfindungen auslöst, die ich bei der Berührung der anderen nicht beobachte. Überdies ist mein Körper für mich nicht so vollständig sichtbar wie der Körper anderer Menschen. [...] Kurz mein Körper zeigt sich mir als eine von den der anderen völlig verschiedene Erscheinung. [...] Ich entdecke in mir selbst Erinnerungen, Hoffnungen, Sorge, Impulse, Wünsche, Willensäusserungen, für die ich eben so wenig verantwortlich bin als für das Vorhandensein der Gegenstände, die mich umgeben."

Das Angeführte wäre nicht nur eine mögliche Paraphrasierung der "Augenblicke" Chandos‘, sondern auch als die Schnittstelle der verschiedenst akzentuierten und variierten Aussagen sowohl von Körperkünstlern der Moderne (expressionistischer Tanz und expressionistisches Theater, Stummfilm, Pantomime) als auch heutiger Tänzer. Im angeführten Zitat wäre noch die bei Mach ständig wiederkehrende Miteinbeziehung des Anderen auszusondern, was seine physikalischen Betrachtungen allgemein an philosophischer Dimension gewinnen lässt. Damit schlägt das Denken Machs eine tragfähige Brücke zur Philosophie des späten 20. Jahrhunderts. Die Sprachkrise Chandos setzt mit einer Desorientierung unter den "höheren" Begriffen ein und erweitert sich bald auf das tagtägliche Leben. So greift er - der Machschen Doktrin folgend - zum Nächstliegenden, dem sinnlich Fassbaren: "Unmittelbar gewiss sind wir dessen, was wir eben empfinden, weniger dessen, was wir aufmerksam beobachtend erfahren haben und dessen wir uns erinnern, noch weniger dessen, was wir nach Analogie des Erlebten uns als möglich ausmalen, und vollends hat das Ausmalen im Unerlebbaren, Unerfahrbaren keinen faßbaren Sinn und verdient keine allgemeine (soziale) Wertschätzung.". Dazu wäre zu beobachten, dass sich Chandos durch den Vergleich mit Crassus letztlich trotz allem "nach Analogie des Erlebten" von der Welt absondert. Bettina Rutsch schätzt die Rolle Crassus’ bei der leiblichen Erschließung des Chandosbriefes noch höher ein: In ihren tiefgreifenden Ausführungen zur s. g. Crassus-Episode zeigt sie in der Geschichte des römischen Rhetors "exemplarisch eine Überwindung der narzißtischen Isolation des Individuums in der Welt" (Rutsch, S. 83). In seiner Gestalt

"kristallisiert sich so die zentrale Problemstellung, mit welcher der ‘Brief’ ausklingt, die Frage nämlich, inwiefern innerhalb der hochgradig vermittelten, traditionsgeprägten und konventionsgebundenen europäischen Kultur eine authentische Beziehung des Individuums zum einzelnen Gegenstand, zum konventionell unbeachteten oder verachteten Phänomen (sic!) in den Grenzen seiner unmittelbaren physischen Reichweite noch möglich ist." (Rutsch, S. 85)

Im Rahmen der philosophischen Untermauerung seiner Thesen lehnt sich Jürgen Sandhop mehr als drei Jahrzehnte nach Wunberg bei einer eher einseitigen Behandlung der "Chandos-Krise" noch ausführlicher an Ernst Machs "Analyse der Empfindungen". Jedoch gelingt es Sandhop nicht, mit seiner hermetisch konsequenten Parallelstellung der beiden Texte versprochenes Neuland zu betreten. Die minuziöse Aufnahme von Machs Theorie bestätigt vielleicht nur noch überzeugender, dass der Chandosbrief tatsächlich stark von der Machschen Philosophie (die das damalige Zeitgepräge auch laut Sandhop am besten reflektieren sollte) beeinflusst worden war und so als einer der Schlüssel zur Sprachkrise der Jahrhundertwende zu lesen wäre. Der Körper wird in den erwähnten Ausführungen nur als Wahrnehmungsapparat binnen des analytischen, wissenschaftlich aufgefassten Relationsmodells Ernst Machs peripher behandelt.

Den Körper als Ausweg aus der "Nietzsche-Aporie" erwähnt Sandhop (abseits von Mach) jedenfalls nur am Rande und insoweit, als der die Natur im Individuum hervortreten lässt und so zum Gefühl der "Zentrumsposition" Chandos’ der ersten Phase beiträgt. Und noch immer ist die leiblich unterstellte "andauernde Trunkenheit" (nur) als "dionysische Grundlage künstlerischen Schaffens zu verstehen", die erst noch zu reifen braucht und nicht als die Erlösung (des Künstlers) aufgefasst, die nach Sandhop eher in einer "starken Persönlichkeit" bzw. im synthesentauglichen "Geist" zu suchen wäre.

  1. 1. 4. GRAUE EMINENZ SCHOPENHAUER

Arthur Schopenhauer erscheint in der bisherigen Forschung kaum als eine eventuelle Basis für die Auseinandersetzungen mit Hofmannsthal, sei es wegen der deutlich gewichtigeren Rolle (seines philosophischen Nachfolgers) Nietzsches oder wegen des zeitlichen Abstands zu Hofmannsthals Schaffenszeit. Jürgen Schiewe erteilt in seinem Buch "Die Macht der Sprache – Eine Geschichte der Sprachkritik von der Antike bis zur Gegenwart" Schopenhauer die "Mittelstellung zwischen Sprachkritik als Erkenntniskritik und als Kritik des konkreten Sprachgebrauchs". Außerdem erkennt er Schopenhauer eine gewisse sprachkritische Relevanz (unter Nietzsche, Hofmannsthal und Mauthner) zu und stellt ihn auf die erste Stufe der post-idealistischen Sprachkritik:

"Wichtig ist vor allem, daß die Kritik nachvollziehbar ist, also begründet vorgetragen wird, und daß sie Alternativen aufzeigt, den ‘besseren’ oder ‘richtigeren’ Sprachgebrauch vorführt. Schopenhauer hat genau das getan, nicht nur in seinen sprachkritischen Reflexionen, sondern auch in seinem gesamten übrigen Werk. ‘Ich gehöre zu den Lesern Schopenhauers, welche, nachdem sie die erste Seite von ihm gelesen haben, mit Bestimmtheit wissen, daß sie alle Seiten lesen und auf jedes Wort hören werden, das er überhaupt gesagt hat’, schrieb Friedrich Nietzsche in seiner Abhandlung 'Schopenhauer als Erzieher'."

Hier sollte auf die wichtige Verbindung zwischen Schopenhauer und Nietzsche (vor allem in ihren sprachkritischen Ansätzen) gedeutet werden, die sowohl von Nietzsche selbst als auch tiefgreifend von Georg Simmel, einen der sensibelsten Auguren der späten Jahrhundertwende, ergründet wurde.

Einen weiteren Beitrag zu Schopenhauers Rezeption als Sprachkritiker schafft Martin Kurzreiter, der aber (wie auch Schiewe) das Potential für eine "körperliche" Lesart Schopenhauers nicht entdeckt, jedoch stark an die empiriokritizistischen Ausführungen Machs erinnert:

"Schopenhauer trägt seine Kritik am sprachlichen Mißbrauch aus der Überzeugung heraus vor, daß die Sprache sehr wohl in der Lage ist, den Wirklichkeitsbezügen gerecht zu werden, freilich unter der Grundvoraussetzung, daß Begriffe als das angenommen werden, was sie sind: nämlich als Vorstellungen von Vorstellungen, deren Nutzen in der Klassifizierung von Einzelerscheinungen besteht."

Am fruchtbarsten für die vorliegende Arbeit in Beziehung zu Schopenhauer erweist sich das Werk Jürgen Sandhops. Zwischen Schopenhauer und Hofmannsthal zieht er einige direkte, jedoch stellenweise ins Bedenkliche abgleitende Parallelen. So erschließt Sandhop die "Augenblicke" des Lord Chandos hauptsächlich mit Hilfe von Schopenhauers Ausführungen zur "Moral" und zum "Willen", wobei er durchaus die Linie Schopenauer-Nietzsche verfolgt. Mit dem Schopenhauerschen Moral-Begriff deutet er die Epiphanien Chandos auf folgende Weise: "Das von Schopenhauer beschriebene Phänomen der Identifikation mit einem anderen Wesen erlebt auch Chandos. [...] Vom nichtmetaphysischen, vom empirischen Standpunkt aus betrachtet, stellt sich das Mitleid für Schopenhauer als eine Fähigkeit des Herzens dar."

Der Wille dagegen wird viel empirischer (als bei Schopenhauer selbst!) gedeutet, indem die Erlebnisse Chandos’ eng an philosophische Ausführungen Schopenhauers angelehnt werden. Stellenweise führt das zur Überforderung der Argumentierung, allgemein jedoch leistet Sandhop einen erläuternden Einblick in den philosophischen Hintergrund des Sprachkritischen und –krisenhaften bei Hofmannsthal. Dabei wäre noch zu erwähnen, dass eine direkte, auswirkende Lektüre Schopenhauers für Hofmannsthal biographisch nicht nachgewiesen wurde, was aber den Spannungsbogen von Schopenhauer über Nietzsche bis Hofmannsthal keineswegs in Zweifel zieht. Entlang seiner Argumentationslinie gelangt (auch) Sandhop zum Mystischen, indem er sowohl in Schopenhauers "leitenden Prinzip der Objektivation des Willens zum Leben in der Erscheinungswelt" als auch in den "Augenblicken" Chandos die "metaphysische Einheit des Daseins" als den Gipfel der Wahrheitsoffenbarung sieht.

Der Körper wird als Medium nur insofern einbezogen, als er dem Menschen als Objektivation des Willens zum Leben gehört und so diesseits des vom Willen losgelösten Geistes liegt: "Die Sprache wird als Produkt des Geistes hiervon ausdrücklich ausgeschlossen. [...] An die Stelle des Geistes, der im früheren Dasein die Schlüsselgewalt über die Kreaturen hatte, ist der Körper als ‘Chiffer‘ getreten."

Auf dem Gipfel der Chandos-Krise könnte m. E . das (beim Chandos (als Figur) des 17. Jahrhunderts noch durchaus kohärente) Subjekt das Gleiche wie bei Schopenhauer behaupten: "Ich bin und außer mir ist nichts. Denn die Welt ist meine Vorstellung.". Diese Vorstellung erkennt Schopenhauer im Verlauf seiner Argumentation als den "Willen", indem er sich auf das Körperliche stützt, das als die einzige zuverlässige Instanz neben dem erkennenden Subjekt stehen sollte. Im zweiten Buch von "Die Wahrheit als Wille und Vorstellung" findet er das metaphysische "Ding an sich" schon gänzlich in den Mechanismen des Leibes, in den Sinnen des Individuums. Den Willen erfahre er in den "individuellen Aktionen" seines Leibes und nur dadurch gelingt es ihn ans "Wesen der Dinge" zu kommen, denn "Jede leibliche Erfahrung ist schon an sich Erregung des Willens, und zwar öfterer der noluntas [des Nichtwollens] als der voluntas [des Wollens]."

Mit seiner innovativen Einbeziehung der Sinne und scharfsichtig eingeschätzten Dynamik der menschlichen Triebe erscheint Schopenhauer also in einem äußerst modernen Licht. Es könnte angenommen werden, dass er gewissermaßen, z B. mit dem ohnehin (post)modern angehauchten Begriffskomplex des (seit Mitte des 19. Jahrhunderts immer wieder rezyklierten) "Trieb-Chaos", das mit dem "gesetzlosen Treiben des Individuums" durch das gesamte 20. Jahrhundert für künstlerischen und philosophischen Auftrieb sorgte, den Nährboden für die fernere philosophische Zukunft vorbereitete. Zweifellos enthüllen Schopenhauers Schriften, wie z. B. seine Ausführungen sowohl zum Genie als auch zum Wahnsinn, zur Dichtkunst oder Musik das gewaltige Potenzial des 19. Jahrhunderts und könnten so als eine Vorahnung der divergenten Dynamik der Künste und Philosophien des frühen 20. Jahrhunderts gelesen werden. Autoren wie Nietzsche, Mach, Simmel und Heidegger, des Weiteren die hier behandelte Sekundärliteratur und letztendlich auch Hofmannsthal selbst wurden alle von Schopenhauers Philosophie beeinflusst - nicht nur die Rezeption, sondern eine direkte Übernahme der Gedanken können in vielen Fällen zweifelsfrei nachgewiesen werden. Und eine der komplexesten Kulminationen seines Gedankenguts könnte vielleicht gerade in den körperlich überwundenen kommunikativen Aporien Chandos‘ als eine äußerst gelungene (Ver)Dichtung des damaligen Zeitgeistes gesehen werden.

  1. 2. NEUERES ZUR PHILOSOPHIE DES 20. JAHRHUNDERTS

Den mit Schopenhauer, Mach, Mauthner und Nietzsche über die Jahrhundertwende gespannten philosophischen Bogen verfolgt diese Arbeit in das 20. Jahrhundert mit etwas unorthodoxeren Kriterien. Am Beispiel der Deutung vom Chandosbrief, die Jost Bomers in seinem Buch "Der Chandosbrief – Die Nova Poetica Hofmannsthals" u. a. anhand der philosophischen Schriften von Martin Heidegger vollzieht, versuchen die folgenden zwei Kapitel die neuere "philosophische" Rezeption des Textes Hofmannsthals zu erläutern. Mit diesem ungleichmäßigeren Schritt soll vor allem das sprachkritische Potenzial des Chandosbriefs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts versucht werden. Außerdem öffnen die vorstehenden Ausführungen eine (Hinter)Tür für weitere Parallelen zwischen Philosophie und Körper im Kapitel 3. 2. 2.. Dabei wäre noch durchgehend fest zu halten, dass hier nicht mehr mit einer kohärenten Dynamik des philosophischen Hintergrunds für die Erschließung der Hofmannsthalschen Sprachkritik im und um den Chandosbrief zu rechnen ist. Das Beispiel Heideggers wurde eben deshalb ausgewählt, weil es auf zwei relativ neue, komplementierende Interpretationsrichtungen deuten könnte: eine körperliche und eine kulturelle.

  1. 2. 1. DER FALL HEIDEGGER
  2. In einer der gründlichsten Auseinandersetzungen mit dem Chandosbrief stützt sich Jost Bomers Anfang der 90er Jahre auf die Hermeneutik, die er von Schleiermacher und Dilthey bis auf die für ihn relevantesten Heidegger und Gadamer im Interesse seines Vorhabens verarbeitet. Für die vorliegende Argumentation soll festgehalten werden, dass sich Bomers in seiner Arbeit u. a. überwiegend auf Heideggers "Ursprung des Kunstwerks" bezieht und nur einmal auf sein (für die Sprachkritik gewichtigeres) Werk "Unterwegs zur Sprache" rekurriert, das in dem folgenden Kapitel näher behandelt wird. Bomers appliziert Heideggers Hermeneutik samt allen von Heidegger selbst definierten und stellenweise auch willkürlich gebrauchten Worten wie "Werk", "Ding" oder "Zeug" auf den Chandosbrief und legt ihn innerhalb des nahezu hermetisch verschlossenen Feldes aus. Seine Absicht ist vom Anfang an auch keine andere; er sucht "den subjektivistischen Übergriff auf das Kunstwerk durch den Historismus zu überwinden und das Kunstwerk als ein In-sich-stehendes zu begreifen". Nach Gadamer hieße das, "die ontologische Struktur des Werkes, unabhängig von der Subjektivität seines Schöpfers oder Betrachters zu verstehen", was Bomers dazu veranlasst, in seinem Werk zu zeigen, dass der Chandosbrief als Dichtung die Umsetzung dieser (also Gadamers) Dichtungstheorie sei.

    Bomers nimmt vorweg, dass der Chandosbrief eine "Dichtung über Dichtung" sei und wendet sich völlig vom Biographismus ab, was nur in wenigen Auseinandersetzungen mit Hofmannsthals Chandosbrief (vor und nach Bomers) zu beobachten ist. Chandos Augenblicke versteht er als eine "Eröffnung des Seins" und führt die Auslegung derer in die Richtung vom "Wesen von Dichtung selbst", die in ihrer Struktur "nachgerade programmatisch der Analyse Heideggers" folgen sollte. Seinen neuen Ansatz subsumiert Bomers - an der früher angesprochenen Bedeutung der Epiphanie nah vorbei - wie folgt:

    "Ganz allgemein könnte man sagen, indem man ein Kunstwerk zu verstehen trachtet, tritt etwas aus der Verdeckung alltäglicher Lebensbezüge in seine Unverborgenheit, d.h., es offenbart sich in seiner Wesentlichkeit, tritt in die Unverborgenheit seines Seins. Aber, indem diese Eröffnung dem Seienden begegnet, eröffnet sich ein Mehr des Verständnisses der Welt und dies impliziert ex negativo ein Mehr unseres Selbst. Insofern konvergiert dieser Anspruch auf ‚Wahrheit‘ im Kunstwerk nicht nur mit dem Ideal des Problems des Chandosbriefes, sondern beantwortet zugleich in gewisser Weise die Frage, ob in einer Dichtung über Dichtung nicht notwendigerweise das Wesen der Dichtung selbst zu Tage treten muß. Darüber hinaus wird begreiflich, warum die These von der Darstellung einer biographischen Krise Hofmannsthals einen Übergriff auf den Chandosbrief darstellt, der durch ein eigentümliches Festhalten am Geniebegriff befrachtet ist."

    Von Mystik könnte bei Bomers (wie auch von der Genieästhetik) kaum die Rede sein; statt dessen verbindet er Chandos mit mythischer Erfahrung , die ihn aber aus der Sprachkrise (und über Heideggers Philosophie) zu keiner neuen Ausdrucksform bringt: "So lässt sich auch von Heidegger her das Problem der Sprachkrise von Lord Chandos deuten. Dem Lord blieb versagt, die mythische oder präexistentielle Erfahrung der ‘Augenblicke’ mit den Mitteln der analytischen Sprache (sic!) zu evozieren. Er vermag lediglich mitzuteilen, doch wie er eingesteht, reicht solches Sprechen nicht hin, das Erlebte zu sagen." In der Begründung stützt sich Bomers auf Heideggers Prämisse über die Zugänglichkeit der Wahrheit, auf der u. a. auch das Verfahren der vorliegenden Arbeit beruht: "Die Wahrheit wird im Werk vielmehr dem kommenden, bewahrenden, d.h. einem geschichtlichen Menschentum zugeworfen. [...] der wahrhaft dichtende Entwurf ist die Eröffnung von jenem, worein das Dasein als Geschichtliches schon geworfen ist."

    Das einzige, was (neben dem verfehlten "epiphanischen" Wert der Augenblicke) trotz seiner exakten Auseinandersetzung mit dem Text Hofmannsthals Bomers noch vorzuwerfen wäre, ist die Gewichtsverlagerung der Arbeit auf die großen Namen der Phänomenologie und Hermeneutik, indem er sie breit mit und gegen einander ausspielen lässt. Trotzdem behält Bomers den Überblick über die "literaturtheoretische Folie der Interpretation des Chandosbriefs", für die er Hans Georg Gadamers "Wahrheit und Methode" verpflichtet ist. So gelingt es ihn, eine "Nova Poetica" zu erstellen, einen innerhalb des hermeneutischen Rahmens brauchbaren Schlüssel für den Chandosbrief zu schmieden. Die hermeneutische Theorie wird Bomers nicht nur zur Achse seines "methodischen Zugangs, sondern selbst Thema des "Chandosbriefes". Sein Ziel, "die Genese der ästhetischen resp. hermeneutischen Theoriebildung bis in die Zeit von Hofmannsthals ‘Chandosbrief‘ skizzieren und dabei deutlich zu machen versuchen, dass der ‘Brief’ auf der inhaltlichen Ebene, besonders aber auch durch seine Struktur aus heutiger Sicht einige programmatische Formgesetzlichkeiten antizipiert, die das genieästhetische Denken überwinden und auf die Kunsttheorie Heideggers und Gadamers verweisen." verfolgt er orthodox und plausibel vom Anfang bis zum Ende der Arbeit. In einem umfangreichen Exkurs - und seiner textimmanenten Interpretation Hofmannsthals zum Nachteil - verwirklicht Bomers noch gründlich die Absicht, "an zentralen Begriffen in Hofmannsthals Werk die Einflüsse und Adoptionen idealistischen Denkens und romantischer Poetologie im ‚Chandosbrief‘ und anderen Texten Hofmannsthals nachzuzeichnen.", wobei er sich auf Hölderlin, Herder, vor allem aber auf Schlegel und Schelling stützt.

    3. 2. 2. EIN BEITRAG ZWISCHEN HOFMANNSTHAL UND HEIDEGGER

    Wie schon oben anklingt, versucht die vorliegende Arbeit an dieser Stelle einige der fruchtbarsten sprachkritischen Prämissen Heideggers mit der Sprach- und Kulturkritik im und um den Chandosbrief zusammen zu führen. Es wird angenommen, dass das argumentative Gewicht von Heideggers Philosophie für die Auslegung des Chandosbriefs im vorigen Kapitel bzw. im dort behandelten Werk Jost Bomers genügend bewiesen wurde. Im Weiteren wird auf einen spezifischen, bisher noch ungenügend beachteten Berührungspunkt eingegangen; es handelt sich nicht nur um das Überlappen der sprachkritischen Ansätze Heideggers mit denen von Hofmannsthal, sondern vor allem um eine kulturelle Dimension der Sprachkritik, die überwiegend in der "leiblichen Folie" wurzelt. Diese Art von Sprachkritik baut ihre Brücke über den tiefen Abgrund zwischen zwei einander völlig fremden Kulturen, der europäischen und der japanischen; sie findet ihren Ausdruck auf einem in dieser Arbeit erörterten Weg - durch die Sinne (und den Sinn) des Körpers.

    In der Auffassung der Augenblicke, in denen vielleicht das Wesen der Sprache (in einem anderen Medium) zu spüren möglich wäre, kommen die beiden Autoren einander sehr nahe, so auch in der paradoxen Position des in der Sprache gefangenen Dichters. Heidegger spricht beinahe mit Chandos’ Zunge:

    "Wo aber kommt die Sprache selber als Sprache zum Wort? Seltsamerweise dort, wo wir für etwas, was uns angeht, uns an sich reißt, bedrängt oder befeuert, das rechte Wort nicht finden. Wir lassen dann, was wir meinen, im Ungesprochenen und machen dabei, ohne es zu recht zu bedenken, Augenblicke durch, in denen uns die Sprache selber mit ihrem Wesen fernher und flüchtig gestreift hat.

    Wo es nun aber gilt, etwas zur Sprache zu bringen, was bislang noch nie gesprochen wurde, liegt alles daran, ob die Sprache das geeignete Wort schenkt oder versagt. Einer dieser Fälle ist der Fall des Dichters. So kann denn ein Dichter sogar dahin gelangen, dass er die Erfahrung, die er mit der Sprache macht, eigens, und d.h. dichterisch, zur Sprache bringen muß."

    In diesem Kontext äußerst bemerkenswert ist die Nähe zwischen einem fragmentarisch erhaltenen Text Hofmannsthals mit dem Titel "Gespräch zwischen einem jungen Europäer und einem japanischen Edelmann" und der ebenso in der Form eines fiktiven Dialogs verfassten Schrift Heideggers "Aus einem Gespräch von der Sprache. Zwischen einem Japaner und einem Fragenden.". Es handelt sich um einen der sicherlich noch nicht genügend erforschten Aspekte der früheren Texte Hofmannsthals, der darüber hinaus auch einen der Schlusssätze der vorliegenden Arbeit motiviert. Dazu wäre noch zu erwähnen, dass diese bisher wenig beachteten Fragmente Hofmannsthals in die Zeit unmittelbar vor dem Verfassen des Chandosbriefs datieren (Juni 1902, "Ein Brief" vermutlich August 1902) und mit den überwiegend im Jahr 1901 verfassten "Briefen des Zurückgekehrten" einen biographisch-kontextuellen Hintergrund für den Chandosbrief bilden.

    Die Kluft zwischen der europäischen und der japanischen Kultur lässt sich in den beiden Texten vergleichend beobachten. Besonders gravierend manifestiert sie sich gerade im Körperlichen. Bei Hofmannsthal besteht der Unterschied in Leib und Seele: "Der jap. Angler angelt mit Leib und Seele, saugt Flusslandschaft in sich; der Soldat der Räuber ist ganz Schwert, bluttrunkenes Auge, gesträubtes Haar, der Büßende ist ganz Büße hinschmelzend unter eines Kindes Auge. Diese Europäer in ihrer wulstigen Teufelserscheinung haben etwas so Unentschiedenes, Schlaffes." Heidegger spricht von demselben, was sowohl oben im Fragment als auch als der Gipfel bzw. die (leibliche) Lösung der Chandoskrise bei Bettina Rutsch gelesen werden kann - er benennt es mit dem Begriff des "sinnlichen Scheinen", später mit dem "Wehen der Stille des leuchtenden Entzückens" und knüpft weiter an seine Kritik der abendländischen Metaphysik:

    "J So wollen wir in der Tat nur wissen, inwiefern die europäische Ästhetik geeignet sei, dasjenige in eine höhere Klarheit zu heben, woraus unsere Kunst und Dichtung ihr Wesen empfangen.

    F Und dies wäre?

    J Wir haben dafür den schon erwähnten Namen Iki.

    [...]

    F Was wir besprachen, war im vornherein in den europäischen Vorstellungsbezirk herübergezwungen.

    J Woran merken Sie das?

    F An der Art, wie Kuki das Grundwort Iki erläuterte. Er sprach vom sinnlichen Scheinen, durch dessen lebhaftes Entzücken Übersinnliches hindurchscheint.

    J Kuki hat, so meine ich, mit dieser Darlegung das getroffen, was wir in der japanischen Kunst erfahren.

    F Ihre Erfahrung bewegt sich demnach im Unterschied einer sinnlichen und übersinnlichen Welt. Auf dieser Unterscheidung ruht, was man seit langem die abendländische Metaphysik nennt."

    Hofmannsthal leitet das Körperliche in die Richtung, aus welcher bei Heidegger die Kulturkritik entspringt und lässt dabei kaum Zweifel an einer Nietzsche-Lektüre zu:

    "Euer Europa ist ein gefährliches Gewebe Es hat zuviel Götter ausgebrütet, wie ein dumpfer lichtlos schwüler Tag Insecten. Diese Götter sind die Begriffe: sie saugen Euch das Blut aus Sie lassen einen von Euch nie er selbst sein. Ihr seid furchtbar weit ausgedehnte Weichthiere. Wenn Ihr etwas erlebt z. B. lieben, haben oder lassen, so erlebt ihr es nie ganz [...] Die Worte in denen ihr Euch formuliert, haben die größte Gewalt über Euch.".

    Deutlich von Nietzsche beeinflusst zeigt sich auch Heidegger, indem er den Weg aus dem rationalen Bankrott der philosophischen Sprache in der dichterischen (Wort)Kunst sieht, in dem "Schweigen vom Schweigen", das das "eigentliche Sagen" und das "stete Vorspiel zum eigentlichen Gespräch von der Sprache" bleiben sollte. Heidegger wird in der Geschichte der Sprachphilosophie als derjenige angesehen, der das unausweichliche Gespräch mit der ostasiatischen Welt eröffnete; für Hofmannsthal jedoch könnte bis jetzt noch kein solcher Ruhm als angebracht erscheinen. Auf eine (inter)kulturelle Gewichtigkeit Hofmannsthals in diesem Zusammenhang zeigt - nur innerhalb ihrer "tänzerischen" Argumentation und an der oberen Pointierung vorbei - auch Rutsch, die nur ein (zwar überzeugendes, aber auch unelastisches) Argument erarbeitet:

    "Nicht aufgrund einer überlegenen rationalen Erfassung und Ordnung der Dinge vermag der Künstler den Zersplitterungs- und Isolationserscheinungen, der kommunikativen Leere seiner Zeit entgegenzuwirken, vielmehr mit Hilfe seiner Fähigkeit, die Phänomene durch sich hindurch immer wieder zur Welt kommen zu lassen. In solcher Überzeugung, die Quelle einer zeitgemäßen authentischen Sprachlichkeit nirgendwo anders als in dem ungeheuren Wahrnehmungs- und Erinnerungsvermögen der eigenen zeitgebundenen und –entbindenden Physis/Psyche zu finden, stimmen denn der Wiener Dichter und der japanische Tänzer [sic!] bemerkenswert überein." (Rutsch, S. 294)

    Einer der zentralen Begriffe beider Texte ist auch die "Gebärde", die als körperlicher Ausdruck den Kern zahlreicher Auseinandersetzungen mit Hofmannsthal bildet, so auch in Rutschs Werk. Der gesamte Schnittbereich zwischen Heidegger und Hofmannsthal deckt sich so noch in einem weiteren Punkt erheblich mit den später in Kapitel 4. 2. Und 5. 1. erläuterten Ausführungen Rutschs. Der japanische Edelmann Hofmannsthals stellt dem Europäer die folgende Frage nach der verfehlten Epiphanie:

    "scheinen Euch nicht Eure Geberden, selbst die äussersten der Liebesacte, als eine Art Herumreden um eine Sache, deren Hauptsprache wo anders liegt? glaubt ihr ans Leben, und glaubt ihr an den Tod? rufen Euch nicht eben die Worte die ihr braucht, um an eine Sache heran, in eine Sache hereinzukommen, von eben dieser Sache ab? Ist nicht ein ganzer Schwarm obscurer Nebenbedeutungen, die oft bis zum Gegentheil führen, in jedem Wort, das an Euer Ohr klingt?".

    Nicht nur die Wörter also, auch die Gebärden können den Europäer in seiner kommunikativen Unmündigkeit leicht verraten. Den Ausführungen Rutschs, die die körperausdrückliche und die wortsprachliche Domäne mit einander zu verbinden sucht, widerspricht das jedoch einigermaßen nicht nur im Text Hofmannsthals, sondern auch bei Heidegger:

    "J Wir verstehen nur allzu gut, dass ein Denkender es vorziehen möchte, das zu-sagende Wort zurückzuhalten, nicht um es für sich zu behalten, sondern um es dem Denkwürdigen entgegenzutragen.

    F Dies entspricht den Winken. Sie sind rätselhaft. Sie winken uns zu. Sie winken ab. Sie winken uns hin zu dem, von woher sie unversehens sich zutragen.

    J Sie denken die Winke in der Zusammengehörigkeit mit dem, was Sie durch Wort "Gebärde" erläuterten.

    F So ist es.

    J Winke und Gebärden sind nach Ihrem Hinweis verschieden von Zeichen und Chiffren, was alles in der Metaphysik beheimatet ist.

    F Winke und Gebärden gehören in den ganz anderen Wesensraum, wenn Sie dessen auch mir verfänglichen Namen erlauben."

    Das Leitmotiv Heideggers in "Unterwegs zur Sprache" ist das anfangs tautologisch wirkende Motto "Die Sprache als die Sprache zur Sprache bringen.". Innerhalb seines Oeuvres bildet diese Stufe der Sprachkritik einen bedeutenden Schwerpunkt, vielleicht auch den Höhepunkt seiner gesamten Philosophie. Als "Haus des Seins" rückt die Sprache durch die einzigartige Metaphorik Heideggers in die Nähe des Leibes, der volkstümlicheren Variante vom "Haus des Seins": "Die Sprache wurde das ‘Haus des Seins’ genannt. Sie ist die Hut des Anwesens, insofern dessen Scheinen dem ereignenden Zeigen der Sage anvertraut bleibt. Haus des Seins ist die Sprache, weil sie als die Sage die Weise des Ereignisses ist".

  3. DER CHANDOSBRIEF – TEXTZITAT ODER KÖRPERTEXT?

Eine umfangreichere Lektüre der Chandosbrief-Rezeption ergibt eine unwiderlegbare Tatsache: der Text wird eher zitiert als gelesen. Das erschwert einigermaßen die Einschätzung seiner Aktualität, obwohl die Lesarten dadurch in ihrer Verzweigtheit letztendlich auch transparenter erscheinen können. Die vorliegende Arbeit bemüht sich um ein aktuelles Filtrat der Körperlichkeit im Chandosbrief, die nach einem Jahrhundert kaum an Gewicht eingebüsst hat. Dabei soll sie selbst auf einer gewissen Distanz zum Text bleiben, um so an den Beispielen des divergenten und begrifflich vorbelasteten Begreifens anderer Autoren und durch eine pointierte Montage ihrerseits zitierten Körperlichkeit(en) des Chandosbriefs einigermaßen den sekundärliterarischen Puls zu fühlen, der Lesartendynamik der neuen Leiblichkeit nachzuspüren.

Andreas Härter bezieht sich in seiner textzentrierten Auseinandersetzung auf das "Reden" im Chandos(brief) und stellt somit eine plausible Diagnose der breiten Chandosbrief-Rezeption in der Gegenwart dar:

" [...] er wird sogar als einer der Begründungstexte des (wohl "sprachkritischen", P.P.) Kanons gewürdigt, dem er angehört. Die Macht seiner Gelesenheit ist so groß, daß er fast beliebig zitierbar geworden ist, in Verweisungen und indirekten Zitaten zumal, die ihn als allseits bekannten Text voraussetzen."

Folglich stellt sich heraus, dass es, trotz oder gerade wegen seiner umfangreichen Behandlung, "in der Literatur zum ‘Brief‘ keine grundsätzliche Übereinstimmung bezüglich seiner Aussage und seines Stellenwerts" gibt. Unter Voraussetzung eines engeren Horizonts an Sekundärliteratur als in den Werken von Jost Bomers und Andres Härter erstrebt die vorliegende Arbeit keine Bewertung solcher breit erfassten Aussagen, es sei denn sie gehören unmittelbar in den behandelten Themenkomplex. Als eine weitere Unterlage für die folgenden Kapitel dieser Arbeit sollten immerhin einige Annahmen Härters zusammengefasst werden: Den Chandosbrief qualifiziert er als einen "kanonischen Text der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts" und problematisiert die – sonst nicht so oft in Betracht gezogene, jedoch deutlich hohe – "anerkannte Gelesenheit" des Textes. Dazu warnt er vor der Gefahr der "inneren Pluralität", die so einen Text nach einer längeren Zeit und einer Menge Auseinandersetzungen mit sich schwingen lässt. Die selbe innere Pluralität hilft m. E. auch den "wörtlichen" Raum für "leibliche" Lesarten zu eröffnen, derer Umfang bei einem so dichten Text viel geringer zu erwarten wäre, wobei seine spezifische Intertextualität das Reaktionspotential des Textes noch zusätzlich erhöht. Einen eventuellen Umweg bietet laut Härter eine bewusste, reflektierte Lektüre, die aber eine oben angesprochene instinktive, individuell leibliche Annäherung zu diesem Text nicht zustande bringen kann:

"Kanonische Texte bieten einer einläßlichen Lektüre ein besonderes Maß an Widerstand. Dem Versuch, sie zu lesen, stellen sie deutlicher als andere Texte die Tatsache entgegen, daß sie je schon gelesen sind, ihre Kanonität ist ihre anerkannte Gelesenheit. Diese hat die Tendenz Lektüren zu ersetzen – so, daß sie diese entweder gar nicht geschehen lässt oder aber lediglich als Wiederholungen ihrer selbst; als Bestätigungen der kanonischen Geltung eines Textes.

[...]

Andere Lektüren durchziehen die eigene; die Lektüren Anderer sind in ihr am Werk, die eine und die andere und jede; Lesen selbst als immer schon geschehendes. Dem zu entgehen vermag die Lektüre nicht, aber sie kann es für ihren Vollzug bedenken: sie gehört sich nicht. Mit den Lektüren Anderer und, allenfalls, gegen sie nähert sie sich dem Text.[...] Lesen geschieht in dieser inneren Pluralität; nicht nur jenes der kanonischen Texte. Diese treten aber in ein besonderes Verhältnis zu ihr: Kanonische Texte erheben die Präsenz ihrer Gelesenheit in ihren Lektüren zum Kriterium ihrer Geltung."

Die oben formulierte Problematik prägt den Großteil der vorliegenden Arbeit und bewirkt den Versuch, solchen Fallen auszuweichen und an ein zeitnahes Verstehen des Texts zu gelangen. Laut Härter muss die Lektüre "in den Redevollzug des Briefs eintreten, um seine Bedingungen zu erschließen. Das heißt, daß sie sich in die Fiktion einlassen muß, die der Text erzeugt: auf den Text als Brief, auf den Status des Texts als Anrede, auf seine historische Situierung.", um somit "nicht vom Text abgehobene Aussagen, sondern sein Reden zu lesen".

Erwähnenswert und von gewisser Bedeutung für die Aktualität innerhalb der Ausführungen der vorliegenden Arbeit erweisen sich die Anmerkungen Härters zum Zitat-Charakter des Chandosbriefs, entgegen dessen auch diese Arbeit schon in Ansätzen zu wirken versucht. Härter verweist auf die Zitat-Problematik, indem er ihre für den Chandosbrief spezifische Vielschichtigkeit im Interesse seines Vorhabens instrumentalisiert: mit seinen zahlreichen Zitaten und Teilzitaten (Bacon, Hipokrates, Seneca, Cicero...) sollte der Text "die Präsenz der anderen Redenden im eigenen Reden als Problem der Gewinnung des letzteren" reflektieren. "Ein Zitat anzuführen heißt, die Rede des Anderen erneut in Bewegung zu versetzen; sie in die Bewegung der eigenen Rede aufzunehmen." Das bezeugt die Komplexität, ja die relative Undurchdringlichkeit des Chandosbriefs in genügendem Ausmaß, damit sich die vorliegende Arbeit dem direkten Zitieren des Textes versagen kann, um so desto unbelasteter auf die Dynamik der Chandosbrief-Rezeption zu zeigen. Es sei jedoch vermerkt, dass bei diesem Versuch, der irreführenden Zugänglichkeit des Texts zu widerstreben, seine unwiderstehliche Leiblichkeit, seine Präsenz - nicht nur im eigenen Reden, sondern vor allem im hautnahen Nach-lesen und Nach-empfinden - noch mal und mit Nachdruck anerkannt wird. Die behandelte Problematik des Chandosbriefs deutet also außerdem auch auf eine der symptomatischsten Bedingungen der Textproduktion im 20. Jahrhundert, die seit der literarischen Moderne immer wieder an Gewichtigkeit gewann, um als postmoderne Vertextungsmaxime zu eskalieren: "die Präsenz der Reden Anderer im eigenen Reden".

  1. 1. DER CHANDOSBRIEF HEUTE
  2. Der also kanonische Text Hofmannsthals nimmt in der breiteren Rezeption eine scheinbar immer festere Position ein, verliert aber - vielleicht gerade dadurch - an der ehemaligen Eindeutigkeit seiner literaturgeschichtlichen Rolle und bietet eine willkommene Projektionsfläche für verschiedenste literaturtheoretische Ansätze. Mit dem Reichtum seiner entgegenkommenden, gekonnt versprachlichten und dadurch unverdächtig erscheinenden Bildlichkeit, umstellt und realisiert durch eine subversiv historisierte sprachliche Opulenz, vor allem aber samt der buntesten vorhandenen Sekundärliteratur eignet er sich für unterschiedlichste Interpretationen. Und trotzdem – oder gerade deswegen - verfügen die neuesten Auseinandersetzungen kaum über entscheidend frische Ansätze, die dem Text innewohnen würden:

    "Selten ist sprachmächtiger über den Verlust der Sprache und den abgründigen Zweifel an ihr geschrieben worden. Vor allem die eindrucksvollen, ungeheuren Bilder, die der Dichter von der leidenden Kreatur entwirft, faszinieren noch heute. Jenes Bild, der in ihren Zierteich eingesperrten Muräne zum Beispiel, deren Tod den römischen Redner Crassus (sic!) zu Tränen rührt, aber vor allem jenes der im Keller eingesperrten Ratten, die vergiftet werden sollen und deren Todeskampf sich plötzlich in einer furchtbaren Vision im Innern des Lord Chandos auftut: ‘Alles war in mir: die mit dem süßlich scharfen Geruch des Giftes angefüllte kühldumpfe Kellerluft und das Gellen der Todesschreie, die sich an modrigen Mauern brachen [...]’. Es ist kein Zufall, daß Werner Kraft, ein Dichter und Publizist jüdischer Herkunft, diese Stelle ‘wie eine rational unerklärbare Vorahnung der Gaskammern’ empfand."

    Dieses Beispiel, das einem 1999 veröffentlichten Essay über den Chandosbrief entnommen wurde, zeugt von einem äußerst beugsam gewordenen Charakter des zehnseitigen Texts. Es kommt zu einem für die heutige Zeit typischen "Hinüberfließen" in die Bedeutungen, die dem Chandosbrief durch seine verschiedensten Lesarten fast schon willkürlich zugesprochen werden.

    Auf das in der oben angesprochenen Polarität eingeengte Verstehen der Chandos-Krise verweist z. B auch Schiewe in seinem zum Kanon gewordenen Werk "Die Macht der Sprache - Eine Geschichte der Sprachkritik von der Antike bis zur Gegenwart", indem er auf folgende Weise der Sprache zwei getrennte Domänen zuschreibt: (gesprochenen) Alltag und (gedachte) Wirklichkeit:

    "Es ist eine Kluft zwischen Sprache und Denken, das die stets einzelhafte Wirklichkeit in ordnende Begriffe faßt, einerseits und jenen einzelnen Dingen der Wirklichkeit andererseits. Der Mensch hat mittels Sprache keinen Zugang zu dieser Wirklichkeit, und er spürt diesen Verlust in dem Moment, da er das Einzelne wahrnimmt und versucht, sich in es hineinzufühlen, eins mit ihm zu werden. In solchen Momenten der Sprachlosigkeit muß den Menschen eine große Traurigkeit ergreifen. Aber Lord Chandos spürt in diesen Momenten, daß wir in ‘ein neues, ahnungsvolles Verhältnis zu den Dingen treten’ könnten, ‘wenn wir anfingen, mit dem Herzen zu denken’."

    Hier wird ein typisch schwacher Ausgangspunkt geliefert, der zwangsläufig zu einer undifferenzierten Behandlung der Chandos-Krise führt und aus dem somit entstandenen Begriffsdschungel höchstens einen vereinfachenden Gegenpol zur Sprache ans Licht bringen kann, der aber jenseits der Wortsprache bzw. in ihrer absoluten Abwesenheit liegt. Den Instinkt entschärft er zum "Spüren" und findet nicht (wie Rutsch auf der Folie Nietzsches) aus dem zeitlich nach oben begrenztem Wortschatz Chandos zu einer zeitgemäßen Interpretation des "denkenden Herzens". Lakonisch widmet er sich auch der Zusammenfassung des literaturhistorischen Gewichts des Chandosbriefs und bietet damit eine enge, obwohl (bedauerlicherweise) für die heutige Rezeption noch immer repräsentative Palette der Deutungen dieses Textes:

    "Man hat den Chandos-Brief unterschiedlich gedeutet: als Ausdruck einer literarischen Schaffenskrise Hugo von Hofmannthals, in deren Folge er die Lyrik aufgab und sich dem Drama zuwandte, als Ausdruck der Moderne, in der die ‘alten’ Worte nicht mehr auf die neue Wirklichkeit passen oder als eine exzellente Umsetzung der Sprachkritik Fritz Mauthners beispielsweise. Wie dem auch sei, aus sprachkritischer Perspektive ist der Chandos-Brief zu nehmen als ein Dokument, daß der ‘Weltbezug der Sprache brüchig’ geworden ist. Das Vertrauen in die Sprache ist verloren, ja die Sprache selbst ist von Verlust bedroht."

    Noch poetischer äußert sich zum Thema des Chandosbriefs Rudolf Hirsch, einer der Herausgeber der 39-bändigen "Kritischer Hofmannsthal-Ausgabe" in seinem ebenso breit aufgenommenen "Nachwort zu Hofmannsthals Chandos-Brief": "Der Zustand des Absinkens von solcher Höhe in die Schwächezustände, die das Zeitalter der impressionistischen Kultur umlauern, ist ein Thema des Chandosbriefes, das furchtbare Erlebnis dessen, der den Zauberstab besitzt und dem die Dinge nun übermächtig werden." Chandos kommt in der Deutung Hirschs nicht den "Dingen" gleich und weiß nicht, wie den "Zauberstab" richtig zu benutzen. Die in der neueren Forschung angedeuteten, durch die Leiblichkeit positiv erfassten Auswege aus der Krise sind in den hier vorgestellten, der quantitativen Mehrheit angehörenden Auseinandersetzungen seltener zu finden; die Lösung wird nicht dynamisch in den gipfelnden "Augenblicken" gesucht. Mit dem sinkenden Ton des Briefes vertieft sich die daraus gelesene Krise sowohl bei Schiewe als auch bei Hirsch meistens noch weiter und formuliert höchstens einer Art Zeitgeist.

    Eine der wegen ihres Schulbuch-Charakters einflussreichsten Interpretationen Hofmannsthals und somit des Chandosbriefs ist die 1993 erschienene Matthias Mayers, der den Text als "die Konzentration eines werkübergreifenden Themenkomplexes und die Darstellung einer Grenz- und Krisensituation, die mit dem Beruf des Dichters grundsätzlich, und nicht (sic!) nur zu diesem Zeitpunkt besteht". Er missbilligt die biographistischen Ansätze und hebt das fiktive Wesen des Werkes hervor. Den atomisierenden Empiriokritizismus Machs übersetzt er knapp und treffend in den postmodernen Begriffsraum und vermittelt so einen der verbreitesten und gegenwartsnahen Akzente des Chandosbriefs:

    "Indem das Ganzheitsgefühl einer ungebrochenen Präsenz und die Anerkennung durch die Gesellschaft der äußersten Vereinzelung und der Erfahrung einer ‘Differenz’ weichen, zeigt sich aber gleichsam in einer dekonstruktiven Bewegung, die Brüchigkeit jener unreflektierten, natürlichen Totalitätserfahrung. Jetzt erst wird deutlich, daß die Voraussetzung in einer schlafwandlerischer Sicherheit und im ‚vereinfachenden Blick der Gewohnheit‘ lag; mit der reflexiven Erkenntnis dieser Grundlage ist das fraglose Selbst- und Welt-gefühl vernichtet, desgleichen aber auch die Fähigkeit dichterischen Sprechens. Die Auflösung der Einheit in Teile hat die Worte selbständig und eigenwillig werden lassen"

    Der Weg der "reflexiven Erkenntnis" vernichtet laut Mayer also das "Selbst- und Weltgefühl" und sperrt dem Dichter den Zutritt zum Sprechen ab. Eine "ganz neue Einsicht" – für die er jedoch keinen Ausdruck findet – entspringt aus den "Augenblicken" der "Bezauberung" und setzt eine "Überwindung der selbstverständlichen Gleichgültigkeit des Auges" voraus, mündet aber trotzdem nicht im Körper: "das Medium, in dem sie formulierbar wäre, wird daher konsequenterweise (sic!) in die Utopie verlagert." In den neueren Lesarten liegt diese "Utopie" - unter Einbeziehung des Leibes - überhaupt nicht so weit weg von der "Wirklichkeit" Chandos’; Mayer verschiebt eine solche Sprache jenseits der Möglichkeiten des Lebens: "Von der Grenze und vom Ende, dem Tod, her legitimiert sich die Sprache: Erst indem es sie verschlägt, kann Wahrheit ausgesagt werden. Die Erfahrung des Lebens läßt sich nur um den Preis des Lebens vermitteln", jenseits dessen aber anscheinend keine weiteren Kommunikationsmöglichkeiten zu suchen wären. Mayer erarbeitet dem Text schließlich die "für das 20. Jahrhundert kennzeichnende Paradoxie [...], mit den Mitteln einer anderen Sprache die Möglichkeit einer anderen Sprache zu leugnen", was den Chandosbrief - am leiblichen Ausweg vorbei - in den Kreis der Autoreferentialität führt: " [der Text, P.P.] bereitet sich somit den eigenen Boden, indem er sich ihn [...] immer wieder bestreitet". In solcherart verschlungenen Paradoxien und nebulösen Mystifikationen mündet leider ein Großteil der (weit beachteten, sogar als Kanon anerkannten) oben behandelten Werke, die den Weg durch die physische Epiphanie nicht begehen.

    4. 2. DIE AUSWEGE IM KÖRPER

    In den vorangehenden Kapiteln wurde versucht, einschließlich der zuletzt behandelten "Grenzfälle" eine einigermaßen repräsentative Dynamik der nicht-körperlichen Lesarten des Chandosbriefs anzudeuten. Mit den im Kapitel 2. angedeuteten Ansätzen zur Körperlichkeit lässt der anfangs aufbereitete philosophische Hintergrund sowohl auf ein leiblich akzentuiertes Zeitgeist um den (produzierten) Text schließen, als auch auf die (rezeptive) Auswirkung dieser Momente im gesamten 20. Jahrhundert: In den 80er und vor allem in den 90er Jahren ist eine Verdichtung der Hofmannsthal-Rezeption im Bereich des Körperlichen zu beobachten. Die für diese Entwicklung bedeutendsten Werke werden in diesem Kapitel erörtert, um ein möglichst kohärentes Bild bzw. eine Übersicht des vorgegebenen Themas zu schaffen. Im Kapitel 4. 1. wurden einige der Leiblichkeit fremdbleibende Annäherungensrichtungen an den Text skizziert, um so auf einen tatsächlich vorhandenen interpretatorischen Gegenkurs zu zeigen.

    Die vorliegende Arbeit baut ihre (im Kapitel 2. angesetzte) Argumentation mit Hilfe des Werks von Bettina Rutsch, das als die bisher weitsichtigste und tiefsinnigste Auseinandersetzung mit dem Thema, sowohl innerhalb des Hofmannsthalschen Oeuvres als auch mit spezifischem Bezug auf den Chandosbrief, angenommen wird. Mit der Arbeit Gregor Gumperts, "Die Rede vom Tanz: Körperästhetik in der Literatur der Jahrhundertwende" soll ein weiteres, spezifisch durch den (Tanz)Körper geprägtes Licht auf Chandosbrief geworfen werden. Der Beitrag Georg Braungarts, "Leibhafter Sinn. Der andere Diskurs der Moderne" eröffnet neue, durch Kreuzung von Psychoanalyse und Sprachkritik im historischen Kontext gekennzeichnete Wege innerhalb der leiblichen Lesarten des Chandosbriefs. Den Bemühungen Gerhard Austins um ein auf dem Leib und seinem Ausdruck basierendes Verständnis Hofmannsthals wird die wichtigste Rolle bei der Anbahnung des Themas zugewiesen.

    GERHARD AUSTIN

    Austin war einer der Bahnbrecher, die sich den Werken Hofmannsthals gründlich durch die Optik der Gebärde (als Ausdruck des Körpers) anzunähern versuchten. Die im Jahr 1981 veröffentlichte Arbeit umfasst eine ins Detail gehende Abhandlung über die Gebärde (von Austin als die "persönliche Ausdrucksgebärde" aufgefasst). An mehreren Stellen verzichtet er auf die textimmanente Interpretation und verweist auf die Tatsache, dass das Körperliche der Gebärde, d.h. ihre theatralische Ausspielung im Text selbst nicht zu finden ist. Dabei denkt er – obwohl nicht ausgesprochen – offensichtlich auf der sicheren Seite der Rampe, "von der Bühne her interpretierend". Er begründet sein Vorhaben, indem er die Gebärde vom wörtlichen Ausdruck abgrenzt und sie dem Bereich der Musik näher rückt. Die Gebärde wird

    "als unmittelbarer menschlicher Ausdruck verstanden. Als solcher kann die Gebärde selbst nicht wie ein Gedanke in einem Dramentext präsent sein, sie kann nur benannt, beschrieben oder impliziert werden. Tatsächlich vorhanden und sinnlich wahrnehmbar ist sie erst bei einer Aufführung, vergleichbar der Note in der Partitur, die im Notentext ein sinnliches Phänomen signalisiert, das uns erst im Konzert akustisch begegnet."

    Obwohl Austin die Gebärde bei Hofmanntshal ausschließlich auf der Bühne betrachtet und von dort auf den Zuschauer wirken lässt, bleibt sie für ihn noch immer in der Reichweite der Literaturwissenschaft. In seiner Argumentation stützt er sich mehrmals auf den Prosatext "Die Briefe des Zurückgekehrten",wobei er sie mit dem Chandosbrief in ein dynamisches Manifest der ansetzenden Sprach- und Kulturkritik biographistisch verknüpft und somit den Chandosbrief nicht ans Ende, sondern an den Anfang der (auf der Bühne gipfelnden) körperlichen Ausdrucksemanzipation Hofmannsthals stellt:

    "Die Briefe des Zurückgekehrten stehen in der Mitte eines Zeitraums – ungefähr von der Jahrhundertwende bis zum Ersten Weltkrieg -, in dem Hofmannsthal sich intensiv mit der Frage auseinandergesetzt hat, wie das individuelle Menschenwesen in der Wirklichkeit erscheint und erblickt werden kann. Am Anfang dieses Zeitraumes veröffentlichte er 1902 Ein Brief, den sogenannten Chandos-Brief, der immer wieder als Endpunkt einer Entwicklung interpretiert worden ist, die von Sprache, Erkenntnis und Bewußtsein wegführt.

    [...]

    Damit eröffnet der Chandos-Brief auch den Zugang zu einem Audrucksverstehen, das sich in den Briefen des Zurückgekehrten voll entwickelt zeigt und sowohl Hofmannsthal persönlich als auch seine Dramaturgie entscheidend beeinflußt hat."

    Die Gebärde bzw. das Körperliche verweilt anfangs – wie auch beim fiktiven Lord Chandos – in der "privaten" Sphäre des biographisierten Hofmannsthals: "In ihrem spezifischen Character wird sie (die Gebärde, P.P.) erst durch die privaten Briefe und andere Äußerungen, die zum Teil scheinbar wenig mit Dramaturgie zu tun haben, erkennbar." In seinem Werk liefert Austin noch fruchtbare Ansätze zu den Begriffen der "Epiphanie" und des "Anderen", an die später, entlang der Behandlung von Rutschs Ausführungen zum Chandosbrief näher eingegangen wird.

    BETTINA RUTSCH

    In Folgendem nähert sich die vorliegende Arbeit durch die schon vorher teilweise aufgearbeitete Argumentation Bettina Rutschs dem Chandosbrief-Text am engsten an, um später daraus die Verknüpfungen mit Gumpert, Braungart und Austin, wie auch mit den neueren körperästhetischen Ansätzen ziehen zu können. Den geistigen und leiblichen Zustand Chandos vor der Krise bezieht Rutsch auf Nietzsche, entlang dessen Linie Chandos in die Krise geführt wird und macht den ersten Schritt weg von den starren, den neuen (Körper-)Diskurs hemmenden "Strukturen seines Denkens und Sprechens":

    "Diese Weltsicht kritisiert Chandos im nachhinein vom radikal skeptizistischen Standpunkt Nietzsches aus als eine durch die Eitelkeit und Egozentrik des romantischen Ich verursachte Wahnvorstellung: Das denkende und sprechende Individuum glaubt, zum Wesenskern der Dinge vorzudringen und dort sich selbst, die Strukturen seines Denkens und Sprechens, zu finden, spiegelt sich aber tatsächlich nur in ihrer Oberfläche; nur deswegen vermag es sich im anderen wiederzuerkennen, weil es zuvor sein eigenes Bild in jenes unzugängliche andere hineinprojiziert hat." (Rutsch, S. 64)

    Doch Rutsch empfindet zwischen der Anfangs- und der Endposition Chandos‘ nicht allein eine tiefgreifende Ähnlichkeit; in seiner Sprachkrise ereignen sich "kleine aber entscheidende Verschiebungen", die keineswegs ein Rückfall in die Ausgangsposition bedeuten. Darüber hinaus erfordern sie von Chandos nicht nur "den Verzicht auf jegliches eigene (poetische) Sprechen, das über die Bewältigung des sozialen Alltags in pragmatischem Gespräch oder unverbindlicher Konversation hinausgeht", sondern bezeichnen auch den Ausmaß seines kommunikativen Fortschritts. Der im Kapitel 2. der vorliegenden Arbeit erwähnte "Vorwurf der Anthropozentrik menschlichen Sprechens scheint auf dieser dritten Stufe unerheblich geworden zu sein, wie er auf der ersten noch unreflektiert blieb." (Rutsch, S. 66f) Durch den Perspektivenwechsel zu den epiphanisch erlebten Dingen, die zu neuen Stützpunkten im (Er)Leben Chandos‘ werden, glaubt Rutsch - nicht unberechtigt - einen tektonischen Ruck in der Kommunikation zwischen Mensch und Welt allgemein vermerkt zu haben. Doch genügt das samt des romantischen Totalitätsanspruchs für eine entgültige Pointierung? Durch den einigermaßen stringenten und philosophisch untermauerten Einbezug des Anderen wie auch mit dem ständigen Bezug auf die - mittlerweile schon selbstverständig gewordene - Epiphanie gelingt es ihr, die neu(gelesen)e Leiblichkeit als das einzig mögliche positiv motivierte Herangehen an den Text abzurunden, und sie im (eher locker) gesetzten Rahmen plausibel ausklingen zu lassen.

    Als Tänzerin liefert Rutsch eine gut begründete Stellung zum Begriff des "Anderen" , der in allen neueren Interpretationen des Chandosbriefs zwar enthalten ist, jedoch verschiedene, meistens vage Ausprägungen aufweist. Diesbezüglich setzt Rutsch innerhalb des Kommunikationsmodells an: erst die von Chandos "wahrgenommene Bedingtheit des Individuums durch die Beschränkungen, die Zeit, Raum und die Gegenwart des anderen ihm auferlegen, schafft die strukturelle Voraussetzung für eine Öffnung des monologisierend um sich kreisenden Sprechers auf einen Dialogpartner hin."(Rutsch., S. 68) Schlichter, vielleicht sogar konsequenter und noch an die (fiktive) Person Chandos fixiert, interpretiert Austin die einsetzende Isolation und aus dem entspringendes Bedürfnis nach dem Anderen folgenderweise:

    "Lord Chandos bleibt in seinem Denken und Empfinden zunächst ausschließlich auf die negative Seite seiner Situation fixiert. Von der zerfallenden Welt der Worte, ‘durch die man ins Leere kommt’, im Stich gelassen, wird er auf sich selbst zurückgewiesen. Gerade dadurch gerät er in Gefahr, sich selbst zu verlieren; denn menschliches Dasein kann nicht für sich allein bestehen. Es braucht ein Gegenüber, an dem es sich erfährt. Die Not der Isolierung hat Lord Chandos nicht gekannt, solange ihm Ich und Welt und die alles verbindende Sprache zu einer umfassenden Einheit zusammenflossen. Jetzt sieht er sich dem Chaos gegenüber allein.

    [...]

    Solange er sich bewußt handelnd darum bemüht, die Geheimnisse seiner persönlichen Existenz und ihrer Beziehungen zu dem anderen zu enträtseln, erfährt er nur die Ohnmacht menschlichen Denkens und Wollens."

    Im Anderen, im dinglichen Gegenüber also befindet sich der Schlüssel zur neuen Kommunikation, die bei Austin jedoch (noch) nicht die kritische Tiefe und die welterfahrene Breite Rutschs erreichen kann, da die letztere im Stande ist, schon (rein persönlich) mitten aus/in der diskursivierten und medialisierten, also (erneut kritisch) entfremdeten Welt zu beobachten, des Weiteren verfügt sie über neuere medientheoretische und kulturkritische Ansätze, die Austin Anfang der Achtziger noch keineswegs zugänglich waren. Austin findet im Begriff des Anderen vielmehr nur einen der brauchbaren Merkmale, die die Leiblichkeit als solche im Chandosbrief noch eindeutiger hervortreten lassen, er benutzt den Text selbst nur als Zugang zu den dramatischen Werken Hofmannsthals aus der Richtung Körper. Im Gegensatz dazu behandelt Rutsch den Chandosbrief als den Zentraltext der ansetzenden Leiblichkeit im Oeuvre des Dichters und räumt ihm unter den zweifelsohne resonanteren dramatischen und Prosa-Stücken einen exemplarisch (be)deutenden Platz ein.

    Die Ausgangspositionen Rutschs und Austins überschneiden sich noch in einem weiteren Bereich - in der Hervorhebung der "Augenblicke" Chandos als "Epiphanien", gelangen jedoch wieder zu unterschiedlichen Schlüssen. Austin bleibt bei der Auseinandersetzung mit den Epiphanien Chandos’ außerhalb des Körpers - am wahrscheinlichsten weil die Körperlichkeit als Ausdruck(sgebärde), also Kommunikation-in-einer-Richtung in diesem Kontext irrelevant bleibt - und widmet seine Aufmerksamkeit dem jedenfalls beachtlichen philosophischen und literaturhistorischen Gewinn der Epiphanien:

    "Auf die geschilderten Vorgänge, die aus der existentiellen Krise herausführen, hat Theodor Ziolkowski den von James Joyce übernommenen Begriff der Epiphanie angewandt, der vor allem dadurch einen wesentlichen Aspekt der Erlebnisse des Lord Chandos erfassen kann, daß er klar von den Visionen der Zeit vor der Krise abgesetzt wird: ‘[...] die visionäre Schau bedeutet Aufhebung aller Grenzen zwischen Subjekt und Objekt. In der Epiphanie hingegen erfährt der Mensch [...] die Selbständigkeit des Objekts [...] das Eigenartige an der Epiphanie besteht darin, daß das schauende Subjekt, das Wesen des Objekts objektiv erkennt, wobei die Autonomie von Subjekt und Objekt bewahrt bleibt [...] In der Epiphanie steigert sich die faktische Wirklichkeit des Dinges zu metaphysischer Symbolhaftigkeit."

    Trotzdem bereitet er mit Hilfe Ziolkowskis einen wertvollen Hintergrund für die Ausführungen Rutschs zu den "Grenzen des Leibes" und zu ihnen in einer neuen, autonomen Subjekt-Objekt Beziehung stehenden "Physis der Dinge". Rutsch schafft in diesem Bereich einen entscheidenden Sprung in "die Leiblichkeit als notwendige sprachliche Bedingung" (Rutsch, S. 88) - also nicht als reines kommunikatives Nebenprodukt bzw. Umstand - und setzt sich damit auch deutlich von der vorangehenden Forschung ab. Dabei hätte sie nichtzuletzt auch von einem gewissen Zeitgeist am äußersten Ende des 20. Jahrhunderts ausgehen können, der in Kapitel 5. der vorliegenden Arbeit näher bestimmt wird. Rutsch erarbeitet den Begriff der Epiphanie nicht nur viel gründlicher, sondern bringt ihn näher an den Text. Am Beispiel der Ratten-Epiphanie deutet sie die Figur Lord Chandos als einen sinnlich tief empfindenden Menschen in der Gesamtheit seiner relativ bzw. selektiv begrenzten Physis:

    "Ausdrücklich werden in dieser Weise zu den sich Chandos plötzlich offenbarenden Phänomenen die in seiner Vorstellung anwesenden Erscheinungen hinzugerechnet. Entscheidend dabei ist, daß sich diese darum keineswegs als minder physisch wirksam erweisen und wie körperlich gegenwärtige Dinge alle Sinne des Lord Chandos in Anspruch nehmen: Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack und Tastsinn

    [...]

    Die Schaffung des notwendigen räumlichen Kontextes für die Epiphanie hängt demnach nicht allein von einem materiell zu bestimmenden Zusammentreffen der beteiligten Gegenstände und Individuen ab, sondern erstreckt sich darüber hinaus auf die Vielfalt der individuellen Vorstellungsräume sowie die geheimnisvoll-unermeßliche Tiefenstruktur des einzelnen Körpers. Wie die begrenzte Physis der Dinge zugleich eine unendliche Dimension, ‚eine unerschöpfliche Tiefe‘ besitzt, so endet auch der physische, außersubjektiv bedeutsame Existenzbereich des Individuums nicht an den Grenzen seines Leibes." (Rutsch, S. 75)

    Die neue körperliche Lesart Rutschs kulminiert im aktiven, ja schöpferischen Umschalten der Chandos-Wippe auf den "dinglichen" Kanal der Kommunikation in den kritischen Augenblicken der Entfremdung, das m. E. heute als die einbringlichste Richtung der Chandosbrief-Verständnis zu deuten wäre. Dieses "Dokument des Radikalen Zweifels an der Möglichkeit einer wesenhaften kommunikativen Beziehung des Menschen zur Welt" (Rutsch, S. 296f) ermöglicht so – besonders noch dem Leser der "aktuellen Jahrhundertwende" - den Einstieg in eine neue (oder gar zurück in die uralte) Welt der Wahrnehmung, die den (nicht unbedingt anthropomorphen) Anderen nicht mehr als ein Teil des Fremden, sondern als ein Gegenüber auf der kommunikativen Wippe miteinbezieht. Damit erfolgt für den heutigen Leser eine (immerhin romantische) Wiedervereinigung, eine quasi erlösende Defragmentierung der hyperdiskursivierten Welt, die als augenblickliche Verborgenheit im simultanen Totalkontakt zwischen dem Menschen und seinen Welten das neue Haus des Seins bedeuten könnte. Es wäre aber noch in der Entwicklung Hofmannsthals als Dichter ein neuer Ausdruck zu ahnen:

    "Unter dem Eindruck der ‘Augenblicke’ dagegen beginnt Chandos zu erfassen, daß die Bedeutung der Dinge in ihnen selbst ruht und sich nur von dort aus ihm mitteilen kann [...] Dementsprechend erscheint Lord Chandos im letzten Teil des ‘Briefs’ nicht mehr statisch als Lesender oder betrachtend Genießender, sondern ausschließlich als Reitender jetzt unablässig unterwegs zu den Dingen, die er zuvor ego- und anthropozentristisch um sich versammeln zu können glaubte, ohne ihre physische Anwesenheit im Raum und Zeit berücksichtigen zu müssen." (Rutsch, S. 79)

    Zu Ähnlichem gelangt durch seine phänomenologisch orientierte Auseinandersetzung auch Austin, wobei er sich noch überwiegend (jedoch nicht explizit) auf den Empiriokritizismus Ernst Machs stützt. Im Gegensatz zu Rutsch sperrt er dem Individuum (Chandos) den Weg zum sprachlichen Festhalten seiner (körperlichen) Empfindungen und ihrer Nachrichten. Die Aktivität des Individuums, sowohl bei der Aufnahme der Eindrücke als auch bei ihrer (potentiellen) Wiedergabe, die für den Neuansatz Rutschs von größter Bedeutung erscheint, bleibt bei Austin noch an der Seite des passiven - zwar intuitiv erzeugten, doch unreflektiert bleibenden - Hinnehmens und Hingebens:

    "Unter völligem Verzicht auf Begriffe, Worte und ein selbstvergessenes Einheitsempfinden ergreifen die Sinnesorgane die Dinge und machen sie als sinnliche Vorstellungen unmittelbar verfügbar. Sie stellen eine direkte Verbindung zum begrifflich nicht Faßbaren her und geben der Person durch das unmittelbare Erlebnis des anderen und Andersartigen einen ersten Halt, eine erste verläßliche Beziehung. Die Überzeugungskraft der Intuition wird für den Lord Chandos zum Garanten der Existenz des sprachlich nicht Erfaßbaren. Die Begegnung mit dem anderen vollzieht sich in einer doppelten Bewegung aneinander zu.

    [...]

    In der Schilderung solcher erfüllter Augenblicke wird der Neuansatz deutlich: Der Verzicht auf direktes sprachliches Erfassen bedeutet Befreiung von dem Druck, sich für jede Erkenntnis – und allgemein jeden Lebensvorgang – sprachlich verantworten zu müssen. Er gibt dem Lord die innere Freiheit, die Dinge einfach als solche hinzunehmen und sich ihrem sinnlich erscheinenden Leben oder – bei unbelebten – ihrem schlichten Dasein hinzugeben."

    Da der Körper bei Austin außerhalb der Augenblicke auf der passiv empfangenden Seite und also in der sprachkritischen Aporie verfängt bleibt, kann er auch die Gegenleistung, den Reflex nicht hervorbringen, um damit eine nachhaltig wechselseitige Sprachlichkeit zu ermöglichen. Bei Rutsch wirkt der Körper im kritischen Augenblick durch seine - infolge der vorher vorsichtig präparierten metaphysischen Philosophie auch plausibel (obwohl durchsichtig) konstruierte und für den eventuellen weiteren Gebrauch ziemlich unpraktische - physische Gesamtheit mit der gegenständlichen Welt sozusagen erlösend, auf die Dauer kommunikationsstiftend. Für Austin ist es "das Seiende selbst, das sich dem schauenden und für das andere offenen Menschen unmittelbar kundgibt, ohne durch begriffliche Unterscheidungen aufgelöst zu werden.", da er innerhalb seiner Ausdruckspsychologie das Signifikat und den Signifikanten als "identisch" versteht. Rutsch dagegen bezeichnet die epiphanische Kommunikation Chandos mit den Dingen als einen "primär physische[n] Vorgang" (Rutsch, S. 81) und aus dem Text Hinweise darauf herausliest, "daß es sich bei der sprachlichen Verbindung zwischen Lord Chandos und dem jeweils sich zeigenden Gegenstand vor allem um eine leiblich begründete handelt – präziser gesagt: um eine Beziehung, an welcher der leibliche Aspekt einer geist-leiblichen Gesamtheit entscheidenden Anteil hat."(Rutsch, S. 80)

    GREGOR GUMPERT

    In seiner Arbeit "Die Sprache des Körpers im Tanz: Zur tanzästhetischen Reflexion Hofmannsthals" (erschienen 1994) liefert Gregor Gumpert einige wertvolle, obwohl aus einer eher radikal "körpersprachlichen" Position erarbeitete Ansätze. Entlang seiner ums Tänzerische verdichteten Argumentation bezieht er sich mehrmals auf den Chandosbrief, jedoch – als Ausnahmefall innerhalb dieser Arbeit - ohne Rückgriff auf Philosophie. Den Tanz bestimmt Gumpert ebenfalls durch mystisches Beschwören der individuell erlebten Epiphanie, doch mit einer klaren Ausgrenzung der (als kommunikationsfeindlich empfundenen) verbalen Sprachlichkeit, "neben anderen Künsten, zum privilegierten Ort eines nicht durch die Sprache der Worte verstellten Zugangs zu den ‘Dingen’". Er lässt den Chandosbrief mit einem anderen Text Hofmannsthals, seinem dem Chandosbrief zeitlich vorangehenden Mitterwurzer-Essay reagieren und versucht daraus auf ein neues körperliches Ausdrucksverstehen, auf eine mögliche - obwohl zuerst noch erstaunliche - Koexistenz der beiden Sprach(lichkeit)en, später sogar eine Kooperation innerhalb eines begabten, reifen Individuums (also eines vollkommenen Bühnenkünstlers) zu zeigen:

    "Es mag erstaunen, daß Mitterwurzer durch Worte erreicht, was eine ‚schweigend‘ ausgeübte Kunst des Körpers auf ihre Weise zu leisten imstande ist. [...] Indem die Worte hier wieder zu Diensten stehen, ermöglichen sie ein körperliches Ausdrucksverstehen.

    [...]

    Mitterwurzer legt noch einmal Zeugnis ab für die Möglichkeit, ein unmittelbares Verhältnis zu den ‘Dingen’ herzustellen, sprachlich Zugang zu ihnen zu eröffnen"

    Soweit stimmt Gumpert in seiner die Polarität zwischen Körper und Sprache halbwegs überwindender Interpretation mit Rutsch nur teilweise überein, entwickelt also kaum eine neue, wechselseitige Sprachlichkeit - es kommuniziert nun mehr der Körper, das Verbale bleibt weiterhin aus der Kommunikation mit der Welt-als-Ding ausgeschlossen. Auf die oben angesprochene Hermetik Nietzsches verdammt, verfehlt der einseitig Kommunizierende den Ausgang aus der Sprachkrise. Der Chandosbrief sollte eine Radikalisierung des Sprachzweifels zu einer Sprachkrise bedeuten, wobei der Körper als Kommunikationsmittel von vorneherein gleichwertig einbezogen wird und zunächst an der kommunikativen Aporie teilnimmt, "auch insofern, als es nun keine Möglichkeit mehr gibt, durch eine gleichsam körperhafte Rede Welt zu erschließen." Von diesem Punkt an ist die Rede eine andere; laut Gumpert kommunizieren die Dinge nur noch auf Chandos zu, er selbst hat anscheinend die Ausdrucksmöglichkeiten verloren. Gumpert meint, Hofmannsthal finde sich aber - als sich entwickelnder Dichter und im Gegensatz zur Chandos-Figur - in seinem Ausdruck wieder und scheine "eine Korrelation, eine Wechselbeziehung, zwischen dem Sprachzweifel des ‘Briefes’ und den Bemühungen um Ballett und Pantomime festzustellen." Der Chandosbrief wird hier als eine immer wieder angesprochene Zwischenstufe in der Entwicklung des künstlerischen Ausdrucks begriffen, als zugleich eine Abrechnung und eine (Wieder)Versöhnung mit dem Wort, das sich allerdings nun enger und mit ständigem Körperbezug der Bühnenkunst verbindet. Nach einer gründlichen Auseinandersetzung mit den Begriffen "Wort", "Gebärde" und "Musik" bei Hofmannsthal gelangt Gumpert erstaunlicherweise zurück zu der polaren Gegenüberstellung von Wort- und Körpersprache. Er rettet den menschlichen Ausdruck auf die Seite des (tanzenden) Leibes und am Text vorbei; obwohl Chandos eigentlich, ohne selbst getanzt zu haben, gerade in seiner (immerhin individuell erfahrenen) Allgemeinheit des banalen Lebens und seinem generischen Weltbezug den neuartigen Kontakt zu den Dingen, dadurch zu sich selbst, letztlich zum kommunikativen Gleichgewicht findet:

    "Die abstrahierende, mittelbar wirkende Wortsprache also wird mit einer konkreten, unmittelbar wirkenden (Gebärden-)Sprache des Körpers konfrontiert. Können die ‘abstrakten Worte’ zerfallen ‘wie modrige Pilze’, so entgeht doch das, was die Sprache des Körpers zur Anschauung bringt, einer Krise des Begriffs.

    [...]

    In der persönlichen, nicht begrenzt individuellen Sprache des Körpers im Tanz wird also ein allgemeiner, menschlicher Bestand anschaulich – anders (sic!) aber in der Allgemeinheit, im ‘Generischen’ der Worte und Begriffe."

    GEORG BAUMGART

    Dicht und tiefgreifend behandelt die Körperlichkeit des Chandosbriefs eine im Jahr 1995 veröffentlichte Schrift von Georg Baumgart mit dem Titel "Der Körper aus ‘Chiffern’ und die Geisteskrankheit des Lord Chandos: Sprachverlust und Hysterie". Obwohl der Titel eine den Körper eher instrumentalisierende Behandlung aus der radikalen Position der Psychoanalyse erwarten ließe, überrascht Baumgart mit einer äußerst scharfen Betrachtung des Leiblichen im Chandosbrief, wie auch einer zusammenfassenden Skizzierung der anbrechenden Körperlichkeit um die Jahrhundertwende. Den in der vorliegenden Arbeit angenommenen exemplarischen Charakter des Chandosbriefs weigert sich der Autor völlig anzunehmen, trotzdem stützt er sich im Großteil seiner Argumentation (wie oben schon Härter) auf nichts anderes: "Ob man allerdings gleich ganze Bücher daraus machen muß, scheint mir zweifelhaft. Die historische Perspektive wird leicht zu sehr verengt, wenn alle Dimensionen des Themas nur von diesem einen Text aus entwickelt werden sollen."

    In seiner Akzentuierung der Hysterie lehnt sich Baumgart überwiegend an die Studien Freuds und Breuers, wie z. B mit der plausibel ausgeführten, obwohl eng parallelen Ansetzung einer psychiatrischen Diagnose an die Erlebnisse Chandos‘. Laut Braungart handelt es sich bei Chandos u. a. auch um die s. g. Makropsie: "Die Beschreibung des Lords vom Sehen der Dinge ‘in einer unheimlichen Nähe’ und das Bild von der Haut des kleinen Fingers als Landschaft entspricht genau der Definition der Makropsie, bei der die Gegenstände größer als normalerweise gesehen werden". Das Phänomen verbindet er auch mit dem für die vorliegende Arbeit relevanten Arthur Schopenhauer und diagnostiziert den Zeitgeist gerade mit einer Brücke zu seiner Philosophie:

    "Es ist kein Zufall, daß Schopenhauer in seiner Kritik neuzeitlicher Rationalität eine der ‘Makropsie’ sehr ähnliche Diagnose stellt, wenn er zeigen möchte, daß ‘das menschliche Bewußtsein und Denken, seiner Natur nach, nothwendig fragmentarisch ist’. Aus der Tatsache, daß das Bewußtsein nur nach einer Dimension, der Zeit, voranschreiten könne, ‘also auf einer Linie’, ergibt sich für Schopenhauer eine prinzipielle Einschränkung der Erkenntnismöglichkeiten, die mit der Symptomatik des Lord Chandos vor allem eines gemeinsam hat: Alles kann nur als Vereinzeltes und vom großen Ganzen Isoliertes erkannt werden. Die Erkenntnis der Neuzeit ist analytisch und fragmentierend. ‘Wir können nämlich Alles nur successive erkennen und nur Eines zur Zeit uns bewußt werden, ja, auch dieses Einen nur unter Bedingung, daß wir derweilen alles Andere vergessen, also uns desselben gar nicht bewußt sind, mithin es so lange aufhört in uns dazuseyn. In dieser Eigenschaft ist unser Intellekt einem Teleskop mit einem sehr engen Gesichtsfelde zu vergleichen.’"

    An der Stelle lässt Braungart auch auf die anti-metaphysische Zeitdiagnose Nietzsches schließen, indem er Chandos, den Menschen der Jahrhundertwende, mit dem "Verlust der metaphysischen Ganzheit" und dem "Zerfall aller Sinngebungsinstanzen" an das "Ende der Metaphysik" stellt. Diesen Orientierunsgverlust erfasst Braungart als ein spezifisches Moment der Jahrhundertwende; er spricht "von einem großen Vertrauen in die Authentizität körperlichen Ausdrucks, oder auch in die teilweise quasi-pathologisch verstandene ‘Wahrheit des Körpers’," der sich im "Ausdruckstanz, Freikörperkultur, Graphologie, Hysterie, Gebärdensprache, Characterologie, Physiognomik" manifestiert.

    In seinen Ausführungen zum Körper nähert sich Braungart – zwar durch einen anderen, eher psychoanalytisch und kulturkritisch geprägten Diskurs – an die von Bettina Rutsch erfasste Leiblichkeit, überschreitet jedoch nicht die Grenze, jenseits derer bei Rutsch die Sprache und der Körper (wieder) zusammenfinden. Zuerst bringt er die erste und die dritte Stufe der Entwicklung Chandos’ zusammen; den beiden Zuständen sei nämlich gemein, "daß sie nicht als Entfremdung gegenüber der Welt erfahren werden, wie der zweite Zustand der Erstarrung und der Krise." Aus dem "Rausch der Sprachsouveränität" gelangt Chandos laut Braungart in jenen der "unverfügbaren Momente der Epiphanie und des mystischen Einsseins mit aller Kreatur" und bleibt damit abseits von Rutsch, die diesen Zustand Chandos‘ von dem eingehenden gerade daran unterscheidet, dass der andere Gegenstand mit eigener kommunikativer Gravitation, mit der konkreten Aktivität seiner Dinglichkeit "ihm weder als Tor zur Welt-Einheit offensteht, noch sich willkürlich aufschließen läßt, sondern sich nur selb-ständig auftun, offenbaren kann." (Rutsch., S. 77). Auch die Zusammenfassung der Endphase Chandos erinnert mehr an die Ausführungen Rutschs zur Eingangsphase, wo es noch keine Kommunikation zwischen Chandos und den ‘Dingen’ gibt, weil sie sich erst (stumm) gegenüberstehen; Braungart meint, "daß sich das Subjekt, das bisher – sowohl im ersten Zustand der narzißtischen Welteroberung als auch im zweiten Zustand der Erstarrung - der Welt gegenüberstand, jetzt durch Einfühlung, durch ‘Hinüberfließen’, gänzlich aufhebt." Die Auflösung des Subjekts im Objekt führt an der positiven Sprachkritik des Chandosbriefs vorbei und vermindert auch den aktuellen Gewinn der leiblichen Lesart Braungarts, da es durch die Schopenhauersche lineare Wahrnehmung im Nacheinander die simultane Präsenz der (Welt)Elemente und ihr physisches Kommunizieren ausschließt. Mit der erwähnten Autorin deckt sich Braungart jedoch im Ansatz zum (rein) Körperlichen, worin er noch weiter den Weg des erkennenden "Subjekts" verfolgt:

    "Dieses (Subjekt) selbst ist jetzt die Sprache der Welt, genauer: sein Körper ist es. Was heißt das? Mit der Formel von den ‚Chiffern‘ des Körpers wird zunächst natürlich die Vorstellung der Entsprechung von Mikrokosmos und Makrokosmos zitiert: Wenn der Mensch ein kleiner Kosmos ist, dann kann in ihm die ganze Welt erkannt werden.".

    Letztendlich überlässt er – was auch überzeugender, jedoch in einer anderen Terminologie aus dem Werk Rutsch zu schließen wäre - den Körper nicht nur seine kommunikative Autonomie, sondern erteilt ihm (durch den allerdings etwas abgegriffenen Perspektivenwechsel von der Makro-Welt zum Mikro-Körper) sogar die Dominanz bei der Erstellung der "neuzeitlichen Subjektivität":

    "Dies aber kann gemäß der Prämisse nicht durch ein selbst und weltbewußtes Subjekt geschehen, sondern allein durch diejenige Existenzform, die den Zusammenhang mit den großen Ganzen herstellt: den organischen (sic!) Körper. Wenn es richtig ist, daß in Hofmannsthals ‘Brief’ auch eine ‘Modellgeschichte’ neuzeitlicher Subjektivität und in ihr das ans-Ende-Kommen des Subjekts der Moderne beschrieben wird, dann hat die Rede vom "Körper aus lauter Chiffern" auch eine zeitdiagnostische und programmatische Dimension. Dann ist damit nicht ‚Körpersprache‘ in einem instrumentellen Sinn wie in der rhetorischen actio oder den Deklamationslehren gemeint, sondern gerade die Befreiung des Körpers aus einem solchen Unterordnungsverhältniss zum Subjekt. Dieses (Subjekt) vertraut sich statt dessen den eigenständigen und authentischen Ausdrucksmöglichkeiten seines Körpers an."

    Eine weitere Übereinstimmung zwischen Braungart und Rutsch wäre auch in ihren Schlüssen zu finden, dass Hofmanntshal mit dem Chandosbrief den sprachkritischen Diskurs der Jahrhundertwende nicht nur viel gründlicher erfasst als Nietzsche, sondern auch auf eine mögliche Lösung im Körper deutet. Bei Braungart ist es zunächst nur die konsequent psychoanalytisch bedingte und pathologisch manifestierte Symptomatik, die aber bisher vielleicht am stringentesten die Anfangsstufe der Chandoskrise in einer sozusagen körperlich nachvollziehbaren Weise auslegt:

    "Chandos ist konsequenter als Nietzsche, denn er behauptet nicht einfach in diskursiver Form die universale Lügenhaftigkeit der Sprache, sondern er erzählt die Geschichte eines Anfalls, der seine eigene Sprache spricht: Die Artikulation wird schlechter, der Satz wird nur noch mechanisch zu Ende geführt, Unwohlsein, Erbleichen, ‘Druck auf der Stirn’ und schließlich die Fluchtreaktion – das sind die Stufen eines Krankenheitsgeschehens, das auf die Frage nach der Wahrheitsfähigkeit der Sprache, die Nietzsche diskursiv verneint hatte, nun körperlich ‘antwortet’."

    Daraus entwickelt Braungart eine Argumentation, die der oben erwähnten Pointierung Sengs in der willkürlichen, ja tendenziösen (obwohl allgemein besser zugänglichen) Interpretation des Chandosbriefs nahe steht:

    "Die Hysterie ist diejenige Krankheit – und darin liegt der tiefere Sinn der Anklage im Chandosbrief - , in welcher nach der Konzeption von Freud und Breuer der Körper selbst spricht, und zwar nicht unter Zensur, wie etwa in den Zwangsneurosen, sondern direkt und theatralisch auf ein Publikum orientiert.[...]Das Körpersymptom erzählt eine Geschichte, die verdrängt war und nur in der Analyse wieder versprachlicht werden kann, die Geschichte seiner Entstehung."

    Damit verbaut er sich, im Unterschied zu Rutsch, die durchaus guten Möglichkeiten für neue, in ihrem Kern fruchtbare Ansätze zur neuen Leiblichkeit im Chandosbrief. Erfolgreich konstatiert er zwar die Anamnese des "Anfalls", zeigt aber nicht auf den praktischen Wert, auf die, zwar abstraktere, doch immerhin aktuelle Verwertbarkeit, ja die Parabelhaftigkeit der offenbar (schon einmal) überwundenen Krise für den heutigen Leser und verfängt sich in die heute nur noch begrenzt relevanten psychoanalytischen Deutungsmuster einer ferneren Jahrhundertwende.

  3. DER KÖRPER AM ENDE DES 20. JAHRHUNDERTS
  4. Im Vorangehenden wurde die Körperlichkeit des Chandosbriefes exemplarisch als ein möglicher Ausweg aus der Wahrnehmungs- und Ausdruckskrise der vorigen Jahrhundertwende aus verschiedenen Sichten gezeigt. In den letzten Kapiteln versucht diese Arbeit die Situation des Körpers im Bezug auf neue Medien und die rege Kommunikationsdynamik an der Schwelle des 21. Jahrhunderts zu skizzieren. Aus den behandelten Interpretationen des bald hundertjährigen Textes sollen nützliche Ansätze für die Erschließung einer anderen, mit "neuer Leiblichkeit" geprägten (Jahrhundert)Wende angedeutet werden.

    Den körperlichen Diskurs des neuen Fin de Siécle vielleicht am gründlichsten resümierendes Werk "Haut: Literaturgeschichte, Körperbilder, Grenzdiskurse" von Claudia Benthien (1999) nimmt vorweg, "daß sich die Körperoberfläche trotz ihrer medizinischen Durchdringung und der Offenlegung des Inneren als zunehmend rigide Grenzfläche erweist. Denn Haut – jener Ort, ‘wo das ‘ích’ sich entscheidet’ – wird spätestens im 20. Jahrhundert zur zentralen Metapher des Getrenntseins. Nur an dieser Grenze können Subjekte sich begegnen." An dieser Stelle sollte klar gestellt werden, dass die "Haut als Erkenntnisorgan" in der Auffassung Benthiens hier als Metonymie für den Leib abstrahiert wird, um so den schon als problematisch behandelten und etwas unscharf definierten Begriff "erkennendes Empfinden" bei Bettina Rutsch besser zu belichten, wie auch medien- und kunsttheoretisch theoretisch einigermaßen zu untermauern. Da der Mensch des späten 20. Jahrhunderts durch eine rasch verbreitende Medienvernetzung geprägt wurde, wäre es anzunehmen, dass die weitere Entwicklung einen Weg abseits vom Körper als Erkenntnisorgan schlägt.

    "Doch lassen sich seit einigen Jahren Zeichen für eine lebensphilosophische Wende des Denkens beobachten. So wird im Rahmen einer historischen Anthropologie und einer sich elaborierenden Kulturgeschichte des Körpers nach Spuren des Leibes in der Gegenwart und der menschlichen Geschichte gefragt.

    [...]

    Nach der Ausdifferenzierung des Wissens in Geistes- und Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert und der fraglosen Zuordnung des Körperlichen zur Kategorie der "Natur" ist es an der Zeit, diese Trennung ein Stück weit rückgängig zu machen und zu fragen, was bei der rein psychologischen Betrachtungsweise des Körpers ausgeklammert wurde."

    Es bieten sich also mancherlei retrospektive Anknüpfungen an, die, wie schon mehrmals gezeigt, bis an die vorige Jahrhundertwende reichen können. Angesichts der "Existenz einer vergegenständlichten virtuellen Welt" wundert es Beat Wyss ebenso wenig wie Benthien, "daß die Kunst eine Alternative zur Medienrealität entwickelt hat. Ihr Thema ist der Körper und jenes Rätsel des Lebens, das ihn bewegt. Kunst heute macht den Betrachter darauf aufmerksam, daß er in einem Leib steckt.". Wie schon vor einem Jahrhundert die Epoche Machs und der Surrealisten, verlangt "das Zeitalter des nachmodernen Barocks [...] nach einem Sensualismus, der für visuelle Kultur mehr empfindet als nur die romantische Gänsehaut. [...] Vor allem muß er gegen die kalte Verwertung des Schönen durch die Medienindustrie heiße Einwände vorbringen." In der Zeit der erneuten Emanzipierung der Leiblichkeit, spielt die Komple(men)tierung der Sinne die Wichtigste Rolle, wobei es anzunehmen wäre, dass daraus ein neues Erkenntnispotenzial des ganzheitlichen Körpers im Sinne Benthiens entspringt:

    "Ein sensualistischer Umgang mit dem Schönen vernetzt die Kultur des Sehens und Hörens über geselligen Kontakt wieder mit den drei sogenannten niederen Sinnen: Geschmacks-, Geruchs- und Tastsinn. [...] Gegen die rasende Einsamkeit digitaler Paradiese stellen Kunst und Kunstvermittlung die Bodenhaftung her mit Menschen, die auch Zunge, Haut und Nase sind."

    In Einklang mit der im folgenden Kapitel näher betrachteten Ausführungen Bettina Rutschs (die ihre Argumentation zwar überwiegend auf dem Tanz als Kunstform aufbaut) steht auch Wyss’ Verständnis von Kunst "als ein körperhaft vorhandener Gegenstand", der dem Betrachter "als einem körperlich gegenwärtigen Sinneswesen" entspricht. Eine Untermauerung der Schlüsse Rutschs besagt auch Benthien, indem sie den Körper "nicht nur als kulturelles Zeichen, sondern auch empfindendes und wahrnehmendes Subjekt" versteht und die Frage erhebt, "ob der Körper modellhaft Zeugnis für eine ‘natürliche’ Sprache oder eine ‘geschichtliche’ Schrift ablegt." Damit eröffnet sie die für die Interpretation des Chandosbriefs äußerst relevante "Debatte über das Verhältnis von ‘Körper’ und ‘Text’", in der sie durch geschichtliche und kulturelle Differenzierung der Medien zu Folgendem gelangt:

    "daß der Textbegriff heute universal gedacht wird, ist eine Vereinfachung, die an die spezifische Wissens- und Erkenntnisstraditionen des Westens gebunden ist – anknüpfend an die mittelalterliche Theologie, in der nicht zufällig gerade die Metapher von der Welt als Buch paradigmatisch wurde. [...] Doch es ist ein eklatanter Unterschied, ob die Haut ein Text ist oder ob es in einem Text um die Haut geht. Haut ist nicht allein sprachlich kodiert – so ist sie beispielsweise auch Bild, was andere Parameter zugrunde legt. Perzeptionen allgemein sind, im Gegensatz zu sprachlichen Zeichen, nicht konventionalisiert und kodiert. Ihre produktive Uneindeutigkeit spiegelt sich gerade in den Hautwahrnehmungen der Literatur."

    Das Obige untermauert Benthien mit ihrer abschließenden Beobachtung, "daß die erzählende Literatur die Haut im Bewußtsein präsent hält und ihr nicht nur als Mittel der physiognomisch-pathognomischen Charakterisierung von Figuren, sondern auch als Ort von Subjektivität und Weltverbundenheit einen großen Raum einräumt." und betont, "inwieweit es gerade die Dichter sind, die spezifische Erfahrungsmöglichkeiten in der Sprache wach halten oder entwickeln, welche sonst keinen Ausdruck fanden.". Nach der Konstatierung, die Vorstellung des Selbst als "in" der Haut bis ins 20. Jahrhundert hätte sich höchst problematisch entwickelt, da der Mensch sich immer weniger geborgen darin als vielmehr verborgen - weniger behütet als gefangen empfände, lässt Benthien ihre Argumentierung in einer mit den Ausführungen Rutsch vergleichbaren Paradoxie ausmünden:

    "Die Autonomie des Selbst führt somit erst zur Entdeckung der Tragik von Abgeschlossenheit und Verbindungslosigkeit der Welt. Was Elias mit dem Begriff des homo clausus als einer allgemeinen Struktur des neuzeitlichen Individuums diagnostiziert hat – die rigider werdende Scheidung zwischen "Inneren" und "Außen" und die damit eingehende zunehmende Unerkennbarkeit des anderen (sic!) - , wurde präzisiert, indem als ein Hauptmotiv die trennende Funktion der Haut erkannt wurde."

    Auf eine solche Überbrückungsmöglichkeit für die immer tiefere Kluft zwischen dem körperlichen, sprechenden Subjekt und dem sprachlich nie völlig beherrschbaren Objekt verweist in einem einfacheren Modell auch Klaus Theweleit: "Über das Verhältnis zum eigenen Körper und zu anderen menschlichen Körpern entwickelt sich die Beziehung jedes menschlichen Körpers zur übrigen Objektwelt und aus dieser die Sprechweise dieser Körper von sich, den Objekten, den Beziehungen zu den Objekten" Mit dieser resümierenden Formulierung soll nur noch ein weiteres Mal auf den Wert der epiphanischen Selbst- und Anderen-Erfahrung des Individuums hic at nunc aus vorangehenden Kapiteln geschlossen werden, wobei die Beschränkung Theweleits auf das Objekt als das rein menschliche Andere im Kontrast zu Rutschs Kosmos aller physisch erfahrbaren Objekte zu vermerken wäre.

    Abschließend gilt es im letzten Kapitel der vorliegenden Arbeit auf die Bedeutung des Chandosbriefs – vor allem innerhalb des Diskurses der "neuen Leiblichkeit" – zu verweisen. "Der Leib selbst ist unser Ausdruck in der Welt." lautet die (schon von Hofmannsthal ins Literarische konsequent übersetzte) Konstatierung Maurice Merleau-Pontys, eines der bedeutendsten Philosophen der neuzeitlichen Ästhetik. Demnach bleibt es noch zu erörtern, inwieweit die Arbeit Bettina Rutschs unter einigen hier behandelten Werken auf eine weitere Dimension bzw. Richtung nicht nur in der Hofmannsthal-Forschung schließen lässt, sondern auch einen Beitrag zur Klärung der gesamten Dynamik der Selbst- und Anderen-Erfahrung des neuzeitlichen Menschen leistet.

    5. 1. DIE NEUE LEIBLICHKEIT DES CHANDOSBRIEFS ALS SCHLUSSWORT

    In dieser Arbeit wurde versucht, in einer eher unorthodoxen Durchquerung der neueren Forschung zum Chandosbrief und unter Berücksichtigung des weiteren philosophischen Hintergrunds (sowohl der Produktion als auch der Rezeption) die epochenübergreifenden Auswege aus der wiederkehrenden Kommunikationskrise – wie sie aus dem Text zu lesen wären - anklingen zu lassen. Die Originalität der Hofmannsthalschen Sprachauffassung subsumiert Rutsch im Bezug auf den Chandosbrief als "den eigentümlichen Wirkungszusammenhang von sprachkritischer Weltentfremdung und weltverschlungener Sprachlichkeit des physisch begrenzten und zugleich durch seine Physis grenzenlos kommunikativen Individuums" (Rutsch, S. 36). Den oben bearbeiteten Ausführungen Benthiens zur (die Welt und das Ich) trennenden Funktion des Körpers geht Rutsch einige Schritte voran, indem - nach ihrer Auffassung der leiblichen Kommunikation im Chandosbrief - "die radikale Individualisierung sprachlicher Authentizität deren potentielle Erweiterung zu einem allgemein verbindlichen Verständigungsprinzip" (Rutsch., S. 87) nicht logisch ausschließt:

    "Denn durch die strukturelle Integration der individuellen Physis in den sprachlichen Akt, wie sie in Chandos’ ‘Augenblicken’ stattfindet, erhalten Mensch und Welt wiederum eine gemeinsame kommunikative Grundlage. Von dieser Basis ausgehend – gewissermaßen die Leiblichkeit aller an der Kommunikation beteiligten Elemente stets mitsprechend - können dann in der Tat Formen eines ‘unmittelbaren, flüssigen, glühenden’ und zugleich interindividuellen Sprechens entstehen, nach denen Lord Chandos vergeblich sucht."(Rutsch, ebda.)

    Eher das Kulturelle als das Individuelle betonend – doch ebenso aufschlussreich für die oben mehrmals angesprochene symptomatische Ähnlichkeit der beiden Jahrhundertwenden - exemplifiziert Georg Baumgart den Chandosbrief zur rettenden Einbeziehung des Körpers, zu dem m. E. die Menschen (und ihre Kunst) der letzteren Jahrhundertwende eigentlich noch finden müssten und jenseits derer auf eine neue, medientechnisch und ideologisch emanzipierte Moderne zu hoffen wäre:

    "Das Ende der körperfeindlichen Periode könnte mit der Moderne gekommen sein. Genauer: Jetzt könnte man den Körper wieder zum Sprechen bringen. Die zeitliche Koinzidenz verweist auf den inneren Zusammenhang, auf die epochale Konstellation. Im selben Jahr, als Hofmannsthal im Chandosbrief die Krise der Wortsprache zum Signum der Moderne erhebt, erwartet der Rodinverehrer Rilke alles von der neu zu entdeckenden Sprache des Körpers. Sprachskepsis und Körpervertrauen sind gleichermaßen kennzeichnend für die Epoche."

    Gegen den Strich vieler pessimistischen, aporie-verschlungenen Lesarten, wäre auch laut Rutsch und wie schon oben angedeutet in der künstlerischen Kommunikation der heutigen Jahrhundertwende ein ähnlicher Zeitgeist zu beobachten, eine Anbahnung zur neuen Leiblichkeit:

    "Ein für allemal von der Möglichkeit ausgeschlossen, einem ursprünglichen, organischen Zusammenhang mit der Natur anzugehören, und auch aus dem künstlich-literarisch geschaffenen zweiten Kosmos verbannt und ins Leere verwiesen, bedarf das moderne Individuum stets aufs neue jener doppelten Vermittlung. Sie kann, trotz seiner vorherigen Entfernung von den Dingen, einzig deswegen noch stattfinden, weil es an der Welt physisch teilhat" (Rutsch, S. 140)

    Trotz Einbeziehung der weiteren, im 20. Jahrhundert entwickelten Medien kann der Körper für die menschliche Kommunikation an der heutigen Jahrhundertwende nicht als obsolet verkündet werden. Im Gegensatz; der Körper bietet sich vielleicht als die einzig verlässliche Bezugsgröße an, als die Rettungsinsel mitten in der ansteigenden Medienflut. In Verbindung mit dem Chandosbrief deutet Rutsch - vielleicht nicht als erste, doch mit bisher aktuellsten Anregungen - auf das multimediale Potential, das im Oeuvre Hofmannsthals zu beobachten ist: der Text selbst gehört auch zweifelsohne in die Entwicklungsphase des Dichters, in welcher er sich mit den Bereichen Tanz, Oper und Film näher bekannt gemacht hatte und die seine weitere, vielseitige, ja multimediale künstlerische Entfaltung entscheidend prägte. Rutsch meidet aber – trotz ihrer starken Anlehnung an andere Medien – konsequent die Ausschließung der verbalen Sprache und rettet damit den neuen Hofmannsthal-Diskurs vor dem schmalen Grat zwischen radikaler Sprachkritik und absolutem Körper.

    Damit mündet die Zusammenfassung der neuesten Beiträge zur Körperlichkeit des Chandosbriefs und einiger ihn umgebenden Texte in Ansätzen zum positiven Verständnis der Hofmannsthalschen Sprachkritik. Die diesbezügliche Aktualität des Dichters wäre nach einem Jahrhundert der Auseinandersetzungen mit seinem umfangreichen Oeuvre keinesfalls nur mit literaturgeschichtlicher Relevanz zu bezeichnen. Unter Einbeziehung der philosophischen und ästhetischen Zeitdiagnosen zeugt die hier behandelte neuere Rezeption von einer Wiederbelebung des Körperlichen und seines individuellen Wahrnehmungs- und Ausdruckspotentials. Mit der Vielfalt und Omnipräsenz der Medien droht dem heutigen Individuum erneut eine dauernde Isolation, die vielleicht erst (wieder) mit der "großen Vernunft der körperlichen Intuition" zu überwinden wäre. In einem anderen Ausmaß, doch von ähnlicher Beschaffenheit, prägte der (heute medial exploitierte) kulturelle und ideologische Pluralismus auch die Jahrhundertwende Hofmannsthals. Eine Möglichkeit für die Befreiung könnte also gerade dem körperlichen Begreifen des Chandosbriefs entspringen, die dem Entfremdeten die Bedingung stellt, "sich als leibliches Individuum dem physisch anwesenden Einzelphänomen wieder zu nähern, es sich nahegehen zu lassen". (Rutsch, S. 297)

  5. LITERATURVERZEICHNIS

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