Der
Sandmann
klicken Sie hier, um den Text frei zu assoziieren
Microsoft Word 2000 nach E.T.A. Hoffmann
"Der Sandmann! der Sandmann! " konnte die Mutter aus mir herausbringen.
Leise - leise öffnete ich des Vaters Stubentür. Der Sandmann
steht mitten in der Stube vor meinem Vater, der helle Schein der Lichter
brennt ihm ins Gesicht! - Der Sandmann, der fürchterliche Sandmann
ist der alte Advokat Coppelius, der manchmal bei uns zu Mittage ißt!
Aber die gräßlichste Gestalt hätte mir nicht tieferes
Entsetzen erregen können, als eben dieser Coppelius. Mein Vater
empfing den Coppelius feierlich. "Augen her, Augen her!" rief
Coppelius mit dumpfer dröhnender Stimme. "Meister! Meister!
laß meinem Nathanael die Augen - laß sie ihm!" Coppelius
lachte gellend auf und rief. "Ja! - es ist Coppelius", wiederholte
der Vater mit matter gebrochener Stimme. Die Tränen stürzten
der Mutter aus den Augen.
Ewig, mein herzinnigstgeliebter Nathanael etc. etc. etc.
Nathanael an Lothar
Sehr unlieb ist es mir, daß Clara neulich den Brief an Dich aus,
freilich durch meine Zerstreutheit veranlagtem, Irrtum erbrach und las.
Ein kleiner rundlicher Mann, das Gesicht mit starken Backenknochen,
feiner Nase, aufgeworfenen Lippen, kleinen stechenden Augen. Ich muß
mein süßes liebes Engelsbild, meine Clara, wiedersehen. Clara
und Nathanael faßten eine heftige Zuneigung zueinander, wogegen
kein Mensch auf Erden etwas einzuwenden hatte; sie waren daher Verlobte,
als Nathanael den Ort verließ um seine Studien in G. - fortzusetzen.
Recht hatte aber Nathanael doch, als er seinem Freunde Lothar schrieb,
daß des widerwärtigen Wetterglashändlers Coppola Gestalt
recht feindlich in sein Leben getreten sei. Nathanael blickt in Claras
Augen; aber es ist der Tod, der mit Claras Augen ihn freundlich anschaut.
- Endlich hatte er geschlossen, er stöhnte in tiefer Ermattung
- er faßte Claras Hand und seufzte wie aufgelöst in trostlosem
Jammer: "Ach! - Clara - Clara!" - Clara drückte ihn sanft
an ihren Busen und sagte leise, aber sehr langsam und ernst: "Nathanael
- mein herzlieber Nathanael! - wirf das tolle - unsinnige - wahnsinnige
Märchen ins Feuer." Da sprang Nathanael entrüstet auf
und rief, Clara von sich stoßend: "Du lebloses, verdammtes
Automat!" Er rannte fort, bittre Tränen vergoß die tief
verletzte Clara: "Ach er hat mich niemals geliebt, denn er versteht
mich nicht", schluchzte sie laut. Auf dem Kampfplatz angekommen
hatten Lothar und Nathanael soeben düsterschweigend die Röcke
abgeworfen, blutdürstige Kampflust im brennenden Auge wollten sie
gegeneinander ausfallen, als Clara durch die Gartentür herbeistürzte.
- Nun erschaute Nathanael erst Olimpias wunderschön geformtes Gesicht.
Nathanael lag wie festgezaubert im Fenster, immer fort und fort die
himmlisch-schöne Olimpia betrachtend. "Ja ja, ja!" erwiderte
Nathanael verdrießlich. "Adieu, lieber Freund!" - Coppola
verließ nicht ohne viele seltsame Seitenblicke auf Nathanael,
das Zimmer. Olimpia erschien sehr reich und geschmackvoll gekleidet.
"Liebst du mich - liebst du mich Olimpia? - Nur dies Wort! - Liebst
du mich?" So flüsterte Nathanael, aber Olimpia seufzte, indem
sie aufstand, nur: "Ach - Ach!" - "Ja du mein holder,
herrlicher Liebesstern", sprach Nathanael, "bist mir aufgegangen
und wirst leuchten, wirst verklären mein Inneres immerdar!"
- "Ach, ach!" replizierte Olimpia fortschreitend. Nathanael
folgte ihr, sie standen vor dem Professor. - Einen ganzen hellen strahlenden
Himmel in der Brust schied Nathanael von dannen. Aus dem tiefsten Grunde
des Schreibpults holte Nathanael alles hervor, was er jemals geschrieben.
Hinein stürzte Nathanael von namenloser Angst ergriffen. - Erstarrt
stand Nathanael - nur zu deutlich hatte er gesehen, Olimpias toderbleichtes
Wachsgesicht hatte keine Augen, statt ihrer schwarze Höhlen; sie
war eine leblose Puppe. - "Ihm nach - ihm nach, was zauderst du?
- Coppelius - Coppelius, mein bestes Automat hat er mir geraubt - Zwanzig
Jahre daran gearbeitet - Leib und Leben daran gesetzt - das Räderwerk
- Sprache - Gang - mein - die Augen - die Augen dir gestohlen. - Verdammter
- Verfluchter - ihm nach - hol mir Olimpia - da hast du die Augen! -"
Nun sah Nathanael, wie ein Paar blutige Augen auf dem Boden liegend
ihn anstarrten, die ergriff Spalanzani mit der unverletzten Hand und
warf sie nach ihm, daß sie seine Brust trafen. Coppola war auch
verschwunden. "Endlich, endlich, o mein herzlieber Nathanael -
nun bist du genesen von schwerer Krankheit - nun bist du wieder mein!"
- So sprach Clara recht aus tiefer Seele und faßte den Nathanael
in ihre Arme. Nathanael reichte ihm die Hand: "Du treuer Bruder
hast mich doch nicht verlassen." - Jede Spur des Wahnsinns war
verschwunden, bald erkräftigte sich Nathanael in der sorglichen
Pflege der Mutter, der Geliebten, der Freunde. Dort wollten sie hinziehen,
die Mutter, Nathanael mit seiner Clara, die er nun zu heiraten gedachte,
und Lothar. Nathanael war milder, kindlicher geworden, als er je gewesen
und erkannte nun erst recht Claras himmlisch reines, herrliches Gemüt.
Gott im Himmel - Clara schwebte von dem rasenden Nathanael erfaßt
über der Galerie in den Lüften - nur mit einer Hand hatte
sie noch die Eisenstäbe umklammert.
Als Nathanael mit zerschmettertem Kopf auf dem, Steinpflaster lag, war
Coppelius im Gewühl verschwunden.