Ein großer Teil der Arbeit des Künstlers Carsten Höller beschäftigt sich - beruhend auf den Kenntnissen des Biologen Carsten Höller - mit Evolutionstheorien, die in menschlichen Gefühlen wie Liebe und Glück in erster Linie Strategien zur erfolgreichen Reproduktion des eigenen Erbguts sehen. Anfang der neunziger Jahre erfand er eine Anzahl ingeniös bösartiger Objekte, die den Folgen ungezügelten Fortpflanzungsdrangs - den Kindern - zu Leibe rücken. Darunter befanden sich Dinge wie ein Fahrrad, das beim ersten Pedaltritt explodiert oder ein Sandkasten voller Quallen. Dem Thema Glück widmete er Ende 1996 im Kunstverein Köln eine komplette Ausstellung. Auf der Basis wissenschaftlicher Überlegungen entstand ein Versuchsparcours, auf dem der Besucher sich als Experimentator und Versuchsperson in einem fühlte.
Rosemarie Trockels bildnerische Arbeit umfaßt Zeichnung, Malerei, Installation und Skulptur genauso wie Photographie und Video und natürlich die berühmten Strickbilder, die sie 1985 in Bonn erstmals ausstellte. Allen gemein ist eine feministische Weltsicht, die, häufig erfreulich aggressiv, mit dem differenzierten Bewußtsein geschlechtsspezifischer Rollenzuweisungen im männerdominierten "System Kunst" erfolgreich wider den Stachel löckt. Weitestgehend unbemerkt hat sich in dieses Werk seit einiger Zeit das Tier eingeschlichen. Zunächst in Gestalt der Motte, die am gestrickten Markenzeichen der Künstlerin nagt, dann auch in dem bibliophilen Künstlerbuch Jedes Tier ist eine Künstlerin, das das Beuyssche Diktum "Jeder Mensch ist ein Künstler" als Ausdruck männlicher Hybris enttarnt. 1994 zeigte das Museum für angewandte Kunst in Wien im Rahmen der Ausstellung Anima eine Reihe von Tierfilmen von Rosemarie Trockel, die, ästhetisch an Lehrfilmen orientiert, offensichtlich eine Hinwendung zu neuen Themen signalisierten.
Das Haus für Schweine und Menschen scheint eine ideale Symbiose der unterschiedlichen künstlerischen Methoden Carsten Höllers und Rosemarie Trockels zu sein. Auf einer Grundfläche von 8 x 12 Metern wurde ein Betonbau errichtet, dessen eine Hälfte für die Besucher der documenta geöffnet ist, während die andere Hälfte einer kleinen Schweineherde, bestehend aus einem Eber und drei Sauen mit einigen Ferkeln, vorbehalten bleibt. Die Stallseite bietet Futter-, Tränk- und Ferkelbuchten, einen Ferkelkasten, Dusche, ein Futterlager und einen genügend großen Auslauf im Freien hinter dem Haus. Für die Besucher sind Matten vorgesehen, die sie auf einer Rampe in ihrer Hälfte des Baus deponieren können, um von dort in entspannter Haltung den Ausblick auf die Schweine zu genießen. Wie in einer wissenschaftlichen Langzeitstudie üblich, garantiert ein einseitig durchsichtiges Spionglas, daß zwar die Menschen die Tiere beobachten können, diese jedoch ungestört bleiben, da ihre Seite der Trennwand verspiegelt ist.
In diesem Schweine/Menschen-Idyll stellt sich die Frage, warum das dem Menschen an Empfindungsfähigkeit ähnliche Hausschwein auf optimale Kotelett- und Schinkenproduktion reduziert wurde und inwieweit Massentierhaltung und medikamentenintensive Schnellaufzucht nicht nur Symptome einer in allen Bereichen auf brutaler Ausbeutung des einzelnen zum Wohle der Gewinnmaximierung beruhenden Gesellschaftsform sind.

S.P.

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