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Zitate in Zusammenfassung:
"Wenn aktuell vom Netz'
geredet wird, so sind in der Regel das Internet als elektronische Transportschicht'
und das World Wide Web als der Bereich darüber gelagerter hyper- und multimedialer
Anwendungen gemeint, also die Gesamtheit technischer Implementierungen zwischen
Servern' und Clients'. Das Netz ist in diesen Reden allerdings oft
noch eher eine Metapher. In Bezug auf die Literatur könnte man metaphorisch
behaupten, dass sie massiv ins Netz geraten ist - und dort vielfach doch recht
hilflos zappelt!" (Gendolla/Schäfer)
"Das Netz ist hier nur als Speicher- und Transportmedium gefragt, ein zwar ungeheuer dynamischer Speicher und ein äußerst bewegliches Transport-, Verlade-, Dokumentationsmedium für Literaturverwalter, -händler und -agenten, das aber doch mit zahlreichen technischen Beschränkungen behaftet ist, durch die es für Leser oder gar Autoren nur von vergleichsweise geringem Interesse ist. Denn ob diese digitalen Archive überhaupt mit den seit Jahrhunderten bewährten (Buch-)Bibliotheken konkurrieren können, ist mehr als fraglich. Ihre Haltbarkeit ist angesichts des raschen Alterns von Speichermedien und Lesegeräten sowie der Inkompatibilität von Programmen und Programmversionen unsicher. Unablässig müssten die gespeicherten Daten in andere Speichermedien übertragen werden, und immer wieder müssten diese Daten von Geräten und Programmen einer neuen Generation' auch gelesen' werden können, um die digitalen Texte auch nur annähernd so lange zu erhalten wie selbst auf schlechtes Papier gedruckte.
[...]
Doch nicht nur das Verfallsdatum
digitaler Speichertechnologien und die Instabilität von Textvarianten macht
die Bestände' der unendlichen Netzbibliothek für Literatur und
- mitgegangen, mitgefangen - für ihre Wissenschaften zu ambivalenten Adressen.
Sollen Texte im Internet archiviert' werden, so fehlt nämlich weitgehend
die institutionelle Qualitätskontrolle' über die Speicherung
und die dauerhafte Sicherung des Zugangs. Während sich die Textüberlieferung
in buchförmigen Speichern - abgesehen von Zensureingriffen, Fehlern bei
der Druckvorstufenerstellung aus dem Manuskript oder den Differenzen zwischen
unterschiedlichen Fassungen - als vergleichsweise stabil erwiesen hat, lassen
sich elektronisch gespeicherte und übertragene Texte ständig ändern.
Und da eine Versionskontrolle gar nicht oder nur unter großem technischen
Aufwand möglich ist, sind diese Texte kaum noch auf eine philologisch abgesicherte
Lesart zurückzuführen. Selbst wenn es gelänge, einen Text fehlerfrei
auf einem Server zu speichern, so fehlte doch jede Garantie, beim nächsten
Zugriff wieder den identischen, unveränderten Text zu lesen. Denn wer immer
einen Text ins Netz stellt, kann ihn auch jederzeit verändern oder gar
mit einem einzigen Befehl löschen und so auf alle Zeiten der Leserschaft
entziehen." (Gendolla/Schäfer)
"Hypertexte unterscheiden
sich von linearen Texten in vielfacher Hinsicht:
Die Globalstruktur ist eher netzwerkartig und nicht monohierarchisch.
Der Synästhetisierungsgrad ist eher hoch (Einbeziehung vieler Symbolsysteme).
Der Interaktivitätsgrad eines Textes kann vom Autor gesteuert werden
und nicht
nur vom Leser (wie beim Buch).
Hypertexte sind an operationale Schriften gebunden (Icons, Buttons usw.).
Hypertexte entfalten ein Thema gemäß einer zentralen Struktur,
sondern lassen die
Koexistenz verschiedener und unabhängiger Strukturen zu.
Die Verkettung der Hypertext-Knoten erfolgt durch explizite Verweise
und setzt
keine eindeutig definierte Leseabfolge voraus.
Hypertexte weisen keine Gesamtkohärenz auf. Die Rekonstruktion eines
Sinnzusammenhangs ist bei Koexistenz mehrerer selbständiger Teilsysteme
nicht
mehr das Ziel der Nutzung.
Die Navigation in linearen Texten (Fixationsänderung, Vor- und Zurückblättern,
Verzeichnisse, Paginierung) wird ergänzt durch graphische Übersichten,
Datenbankabfragen, Volltext-Retrieval, geführte Unterweisungen mit Test-
und
Verzweigungsmöglichkeiten."
(Rotermund, Hermann: Das
Internet Baut die Künste um. Eine zweite Chance für die Oralität?
Ein Beitrag zu "Interszene", Romainmotier, 15. 07. 2000 . Typologie
übernommen von Stefan Friesler: Hypertext Eine Begriffsbestimmung.
Deutsche Sprache 1 , 1994, S. 19-50.)
***
"Wie beim Buch, wo
das Blättern der Seiten und die Bewegung der Augen ja bereits eine begrenzte
Wahl gestatteten - wodurch bei manchen Texten die Narration zerstört, bei
anderen, etwa von Italo Calvino ("Se una notte d'inverno un viaggiatore"),
Julio Cortázar ("Rayuela") oder Queneau ("Exercices de
style") ein selbstreflexives Gedankenspiel mit Erzählmöglichkeiten
erst eröffnet wurde -, besteht Literatur zwar elementar aus Buchstaben,
entsteht aber erst durchs Kochen der Buchstabensuppe, sprich: die Zusammensetzung
der Lettern zu einem längeren Gedankenspiel, ganz gleich, ob dabei eine
platte' Love Story oder ein überaus komplexer, labyrinthisch verzweigter
Agentenroman herauskommt.
Es verwundert nicht, dass die Hypertext-Technologien alsbald
das Interesse von Medien- und Literaturtheoretikern geweckt haben. Hypertext
erschien als technologische Einlösung der poststrukturalistischen/-modernistischen
Theorien von Foucault (Funktionswandel des Autors), Deleuze/Guattari (Rhizom'),
Kristeva (Intertextualität') und Derrida (Dezentrierung'),
vor allem jedoch Roland Barthes (Tod des Autors', schreibbarer Text').
Und tatsächlich: Der Buchdruck hatte eine zentrale Funktion der Schrift,
nämlich Zeit und Raum überbrücken zu können, industrialisiert'
und Geschriebenes kollektiv zugänglich gemacht, dabei aber zugleich Kommunikation
und Interaktion weitgehend entkoppelt. Hypertext-Technologien nehmen diese Entwicklung
zumindest in einem zentralen Aspekt zurück: Ein "text composed of
blocks of text (
) and the electronic links that join them" lässt
sich überhaupt nur interaktiv lesen.
Genau diese Beobachtung hat dazu geführt, dass der Rezipient allzu voreilig
und nun nicht mehr nur im metaphorischen Sinne der (post-)strukturalistischen
und rezeptionsästhetischen Theorien zum Ko-Autor' erklärt wurde.
Als aktiver Teilnehmer an der Textkonstruktion, als Wreader', bringe er,
so die These, den schreibbaren' Text erst dadurch hervor, dass er mit
seiner Maus die sensiblen' Flächen auf der Benutzeroberfläche
bedient und so bestimmte Lesewege einschlägt. Diese Konvergenzthese von
Hypertext und Poststrukturalismus hat jedoch - wie alle Thesen, die Metaphern
wörtlich nehmen - ihre engen Grenzen: Betont die Rede vom schreibbaren'
Text das subjektive Spiel des Lesers mit den Konnotationen eines Textes - gleichsam
den ergebnisoffenen Akt des Lesens', der auf einem nie präzise zu
fassenden Intertext' aufruht -, so reduzieren die Apologeten des Hypertexts
dies auf eine abbildbare, adressierbare Struktur. Wenn der Wreader' durch
das nicht-lineare Textgewebe eines Hypertexts navigiert', so bewegt er
sich durch eine stets beschränkte, vorprogrammierte Struktur und produziert
eben nicht notwendigerweise schon die ästhetischen Differenzen, um die
es Barthes in seinem Konzept der Schreibbarkeit' geht.
Dennoch - und an dieser Differenz bleibt festzuhalten: Auch wenn es gedruckte
Vorläufer gibt, und auch wenn der Hype' um Hypertexte übertrieben
erscheint, so unterscheidet sich die netzförmige Topologie grundlegend
von den eindimensionalen und eindeutigen Zeichenketten tradierter literarischer
Texte. Wie auch immer das Programmdesign im einzelnen ausgelegt ist: Es gibt
für den Leser keinen gesicherten Bezugstext, bestenfalls lassen sich Wahrscheinlichkeiten
bestimmter Lesewege oder (syntaktische wie auch semantische) Signale an den
Textoberflächen ausmachen, welche es nahe legen, bestimmte Links'
zu favorisieren." (Gendolla/Schäfer)
***
"[...] the very essence of hypertext[:] Its technology on the basis of
linked structure enables us to confront a word as something that is following
suspenseful expectation and afterwards appears as a gift. This technology has
a markedly creative function. It is not a source of trivialization, but it adds
to the stressed role of the otherwise traditional medium of writing. All words
are not (yet) given, but come out of the virtual depth. The task of the writer
of hypertextual fiction and non-fiction (for example, technical texts) is not
to let down the reader and her/his expectations. The user has to overcome the
depth and the long between articulated with links to finally come to words-images
and words-bodies. This is why the author must offer the reader carefully selected,
rare and precious words. Although the writer is enchanted by the cybernetic
medium, s/he must not forget Jabess The Book of Questions. The authors
creative task involves also the selection and forming of links, which must be
such as to create an atmosphere of uncertainty and suspense." (Janez Strehovec,
Textscape as Virtual Reality, http://www.drunkenboat.com/db3/strehovec/textscape.html)
***
In seiner lateinischen Ursprungsbedeutung heißt Text ,das Gewebe`. Die
Assoziation von Text mit ,Textil` und ,Textur` ist daher nicht zufällig,
seine Hypertrophierung zu ,Hypertext` aus texttheoretischer Sicht ein Pleonasmus.
In der Informatik steht ,Hypertext` auch weniger für ein Text-, als für
ein Datenorganisationsmodell, das u.a. mit hierarchischen und relationalen Datenbanken
konkurriert. Daß jeder Text aus Quer- und Selbstverweisen besteht - selbst
Epen und bürgerliche Romane des 19. Jahrhunderts als jene historischen
Ausnahmefälle einer Literatur, die tatsächlich linear von der ersten
bis zur letzten Seite gelesen wird -, ist eine Grunderkenntnis jedes aufmerksamen
Lesens. Wie Roman Jakobsons Modell der paradigmatischen Auswahl und der syntagmatischen
Anordnung des sprachlichen Zeichens verdeutlicht, kann es weder wirklich ,lineare`,
noch wirklich ,nichtlineare` Texte geben. Jeder Leser bezieht, was er punktuell
in seiner Lektüre aufnimmt, auf die Erinnerung des bisher Gelesenen zurück,
und so ist schon ein Reim, eine Wortstellungsfigur oder eine metrische Wiederholung
eine ,nichtlineare` Struktur. Sie zu erkennen impliziert, daß jedes Lesen
ein Prozeß des permanenten Vergleichens ist, des mentalen Springens und
Vor- und Zurückgehens im Text und des Assoziierens mit anderen Texten.(Florian
Cramer, Literatur im Internet, http://userpage.fu-berlin.de/%7Ecantsin/homepage/writings/net_literature/general/alg_1999/alg-literatur_im_internet.html)
"Viele der Verfahren,
in welche die klassischen' Avantgarden des 20. Jahrhunderts Kunst und
Literatur aufgelöst haben - um nur einige Beispiele zu nennen: Montage,
Collage oder Serialisierung, Intermedialität, Aleatorik, Interaktivität
oder kooperative Literaturproduktion -, werden in rechnergestützter Literatur,
erst recht, wenn sie in elektronischen Netzen zugänglich gemacht wird,
wieder aufgenommen - allerdings auf neuem, technisch erweiterten Niveau."
(Gendolla/Schäfer)
***
"Cyberliteratur kann
eine konsequente Weiterführung und Verbindung sein von Kubismus, polyperspektivischer
Form, aber auch Videoinstallation und Pop Art." (Endres)
***
"Cybernetic literature
on web sites is undoubtedly expanding avant-garde and experimental forms of
literature (visual and concrete poetry and experimental prose), but its inquiries
are especially relevant for aesthetics (particularly of electronic art). Basic
concepts like interactivity and total immersion get new encouragement from the
web media. When mentioning web literature, we have to state the fact that it
includes a new generation of literature, made in web medium. So we can place
its projects between second order techno-literatures; as into the first generation
obviously belongs the influential, for literary theory very challenging form
of hyperfiction, written/computed by Michael Joyce and some more important successors
of that tradition (Stuart Moulthrop, Shelley Jackson, Carolyn Guyer). In order
not to mention second order techno-literatures only on abstract level, let us
for information, mention some more characteristic works of web-literatures:
Stuart Moulthrop's Hegirascope (version 2), Mark Amerika's Grammatron, Diane
Reed Slatery's Alfaweb, Komninos Zervos homepage Cyberpoetry, Jacques Servin's
Beast, Olia Lialina's Ann Karenin goes to Paradise, Juliet Martin's Can You
See Me Through The Computer, Shelley Jackson's My Body, Anne Joelle's The Confessional,
C.Can's & R.Allalouf's Keywords, K. Mork's & S. Stenslie's Solve et
Coagula.
What is the general characteristic of those otherwise very individual projects?
They are put on the web and they try to use more than only its reproductive
and distributive capacities. Web-literature sometimes still uses now already
classical hypertext medium, which had generated a kind of hyperfiction (already
mentioned in the tradition of Michael Joyce), but its latest projects try to
intensively use the particularities of web media and novelty of the software
written for it.We are dealing with a new form of narrative, which is not based
on the literature forms and procedures as we know them, but is introducing new
techno-language of the techno-words-images-bodies, using the effects of new
media aesthetics and inventing new forms. Here we have to mention some basic
concepts of web-literature which are useful for the techno-aesthetics of electronic
art." (Janez Strehovec, Text as Virtual Reality (Abstract); http://cmc.uib.no/dac98/papers/strehovec.html)
INTERAKTION AN DER SCHNITTSTELLE:
"Der produktive, selbstbeobachtende
Rezipient erscheint als 'Reinkarnation' des in der Postmoderne verstorbenen
Subjekts. Als Differenzgröße erscheint dieser Beobachter vor dem
Apparat, hinter dem das Identitätsprinzip des Autors mehr und mehr verschwunden
ist. Eine Option des experimentellen, künstlerischen Umgangs mit den neuen
Medien ist also, daß Erlebnisse der Distanznahme möglich werden,
die auch die Verbindung von Mensch und Maschine erfassen und die Schnittstellen
sichtbar werden lassen. Der Teilhaber am Kunstwerk hat hier als Individuum Gelegenheit,
sich von seiner Umwelt und damit auch von den Apparaten zu unterscheiden, mit
denen er sich immer enger verknüpft." (Block)
***
"Der Leser wird zum aktiven Mitgestalter. Verlinkte Cyberliteratur ist das postmoderne Analogon zu barocken Lustgärten und Labyrinthen; voller Verstecke, Überraschungen, verborgener Schätze und Sackgassen.
[...]
Der Autor ist unabhängig von Verlegern, Lektoren und Buchhandlungen. Er kann direkt mit seinen Lesern in Kontakt treten. Der Autor sitzt nicht mehr alleine zu Hause vor seiner Schreibmaschine, sondern ist während des Schreibens vernetzt, mit Lesern und anderen Autoren. Nicht nur das Lesen, auch der Schreibprozeß kann interaktiv werden. Internet-Literatur ist für jeden im Netz zugänglich, gleichsam ein Ausdruck eines "neuen Idealismus" der desillusionierten "Generation X, Y und Z". (Endres)
NEUE
LITERATUR
"Denn es handelt sich um Undruckbares, das mit den spezifischen Mitteln
der digitalen Medien nach künstlerischem Ausdruck sucht: Als Mitschreibprojekt,
das die Leser in Autoren wandelt und das Werk in einen Prozess. Als Hyperfiction,
die vom Leser verlangt, sich den Text selbst zusammenzustellen, und im besten
Falle den Link zwischen den Textsegmenten zum eigentlichen Text macht. Als multimediales
Werk, das Wort, Bild und Ton zu einer neuen Sprache mixt.
Dieses Buch handelt nicht von Literatur, die ins Internet wandert und schließlich doch auf Papier enden will. Dieses Buch handelt von 'Literatur', die im und aus dem Netz des digtalen Codes entsteht, die interaktiv und intermedial ist und die durch die verborgene Befehlssprache unter der Bildschirmoberfläche auf einem Alphabet der Inszenierung beruht, das sie undruckbar macht. Es geht um neue ästhetische Ausdrucksformen und deren 'literarisches' Feld. Kein Ersatz für das gute alte Buch, aber ein Konkurrent, so wie Kino und Fernsehen auch."
(Simanowski, Roberto: Interfictions.
vom Schreiben im Netz (Einleitung). FaM, Suhrkamp, 2002. Zitiert aus http://www.dichtung-digital.com/2002/07/19-Simanowski/)
* FRISCH UND LESENSWERT !! *
NEUE SPEICHER- UND ÜBERTRAGUNGSMEDIEN
"Wenn [...] von den neuen bzw. digitalen Medien die Rede ist, sind die auf dem Prinzip des digitalen Codes basierenden Speicher- und Übertragungstechnologien Computer, Diskette, CD-ROM, DVD und Internet gemeint. Es liegt also zunächst ein technischer Medienbegriff zugrunde (ähnlich wie bei Buch und Telefon), der vom philosophischen (Sprache, Bild, Musik) zu unterscheiden ist. Natürlich beeinflußt die mediale Konstellation (das Gespräch, das Telefonat, der Brief, die Email, der Chat) auch die Verwendung des jeweiligen Symbolsystems (in diesem Fall die Sprache) bis hin zur Hervorbringung neuer Ausdrucksformen (das Hörspiel als Resultat des Radios)." (ebd.)
"There are books providing
alternatives to navigate. There are animated images in visual art. There are
pictures or paintings including words. However, the point is that in digital
media those features take place all together, and not as an exception but as
a normal expectation. [
] Since digital literature is not yet a well-developed
art form and is still experimenting one can not really judge its aesthetic values
yet. We have seen that technical effects does not necessarily mean to 'suck
the substance out of a work of lettered art, reduce it to surface spectacle,'
it can also mean to give substance to the surface spectacle. The authors are
supposed to think and act in order to serve this purpose. We, the readers, are
supposed to think twice in order to realize and acknowledge their effort. Of
course, if one does not like to see words moving or images disapperaring, if
one objects to visualization and technical effects at all, one will object to
digital literature as a whole, and decide to read a regular old book."
(Simanowski)
***
"At present, software
tools themselves are more revolutionary than
multimedia applications they are used to design. They are better artistic
visions of our inner life. Relational databases; pointers; control structures
("if... than," "case," etc.); object-oriented programming
-- these and other
programming concepts point towards potentially complex, dynamic and rich
cultural representations of human mind. Even such seemingly trivial
concept as a hierarchical file system is already more suggestive than the
typical pages with hyperlinks which are being served to us
in the 1990s under the slogan of "new media." Whatever it may involve,
human thinking is certainly more like a computer program under execution
(which involves translating between a hierarchy of computer languages,
writing and reading data, keeping track of a current place in a program,
clearing space in memory for new data and so on) than a set of pages linked
by
hyperlinks.
To bring this new level of complexity, already achieved in software
design, into the realm of cultural representation -- this is the challenge of
multimedia writing. To do this, we need to be looking both at best cultural
achievements in "mind modeling" -- Proust and Nabokov, Joyce and Godard
-- and at the concepts of computer science, at the structure of computer
hardware and software. Only when our multimedia texts will do justice both
to the complexity of the machines used to compose and distribute these texts
-- computers -- as well as to the complexity of what it feels to be a human
being today: to think, to reflect, to carry the burden of human cultural history
and of never before available amount of information and news from around
the world, to interact with artificial minds of computers and with minds of
other humans -- and also, as always, still to respond to the physical
environment outside, the presence of others, to light, touch, and smell. In
short, to be human, to reflect and to exist, to be inside and to outside at
the
same time. To represent this uniquely human, embodied thinking --
this is the challenge of multimedia writing. (Lev Manovich: Jump over Proust.
Towards multimedia Writing. http://www-apparitions.ucsd.edu/~manovich/text/proust.html
NETZLITERATUR ALS MULTIMEDIALES SENSORENSYSTEM:
"Für die ökonomischen, technischen, politischen etc., kurzum: für die funktionalen Kommunikationen hat Netzliteratur authentische Möglichkeiten, die übrigens auch über die bisherigen Zubringerdienste für Film, Fernsehen, Video- und andere Medienkünste hinausgehen. Wenn man so will, wiederholt die Literatur nochmals die Schritte, die in der Geschichte der Ökonomie vom Handwerk über Manufaktur und Industrie zur vollautomatischen Produktion gemacht worden sind - allerdings in einer anderen, ihr eigenen Weise.
[...]
Von Bachtin über Kristeva zu kurrenten Diskurstheorien ist Literatur als
Reflexionsmedium bzw. als hybrider Dialog - in genau jenem Sinne, in dem Bachtin
den Roman als jene Gattung definierte, in der sich alle anderen sozialen Kommunikationen
kreuzen, widersprechen oder auch paradox bis schmerzhaft ad absurdum führen
- situiert worden. Sie hat diese Möglichkeiten weiterhin - und entfaltet
sie gegenwärtig, so unsere These, nirgends deutlicher als im multimedialen
Integrationsmedium Netz.
[...]
Im Netz erweitert' sich Literatur wieder einmal und integriert dabei tatsächlich
Bild, Bewegtbild und Sound zu unerwarteten Kombinationen. Werbung, Adventure
Games' oder pures Laufenlassen der angebotenen Programme sind nicht immer einfach
zu unterscheiden von ästhetischer Erkenntnis oder von kritischer Wahrnehmung
der Kommunikation, die auch und gerade in Netzen keineswegs herrschaftsfrei
ist. Solche Unterschiede in und mit Netzliteratur als einer Art Sensorsystem
für aktuelle soziale Entwicklungen aufzuspüren, wahrnehmbar und begreifbar
zu machen, ist keine geringe Aufgabe, der sich eine aktuelle Literaturwissenschaft
wie auch die anderen Kultur-, Sozial- und Medienwissenschaften zu stellen haben."
(Gendolla/Schäfer)
ZUKUNFT
DER LITERATURWISSENSCHAFT:
"Literaturwissenschaft ist ebenso wie die Literatur selbst genetisch, funktional und strukturell an eine Gesellschaft gebunden, deren radikalen Wandel wir augenblicklich erleben. Sie steht vor der Aufgabe ihre Position in einer pluralistischen Gesellschaft, die sich als multimedial und multisensuell begreift, neu zu definieren. Der gegenwärtig kaum mehr überhörbare Ruf nach Interaktivität und Multimedialität drückt das Bedürfnis der Menschen aus, dem Zusammenwirken der Sinne und Kommunikationspartner mehr Bedeutung zu geben, als dies in der sich ja monomedial definierenden Buchkultur der Fall war. Eine zeitgemäße Literaturwissenschaft wird sich deshalb nicht auf Text und Schrift beschränken können. Eine vergleichende Literaturwissenschaft kann bei der Entwicklung eines multimedialen und interaktiven Literaturverständnisses eine Schlüsselrolle einnehmen, wenn sie nicht mehr nur gedruckte Texte verschiedener Zeiten und Kulturen sondern das Zusammenwirken der verschiedenen Ausdrucksmedien und Kommunikatoren miteinander vergleicht. Neben der Beschäftigung mit den körperlichen Ausdrucksmedien gehört dazu vor allem auch die Erkundung der neuen elektronischen Darstellungs- und Vernetzungsmedien." (Michael Giesecke; Michael Giesecke im Interview mit Roberto Simanovski: www.dichtung-digital.de/Interviews/Giesecke-22-Okt-00)
"p0es1s" - ÄSTHETIK DIGITALER LITERATUR:
Ein Auschnitt aus dem Interwiev mit Friedrich W. Block und Christiane Heibach anöässlich der Ausstellung "p0es1s" (Kassel, 2000) und über "die Ablösung der Literatur und der Literaturwissenschaft vom Buch." In: Jörg Wittkewitz: Sind Computerviren Teil der Netzliteratur? Internet-Zeitschrift "Telepolis", 02.11.2000, http://www.heise.de/tp/deutsch/html/result.xhtml?url=/tp/deutsch/inhalt/sa/4169/1.html&words=Wittkewitz
Ist digitaler Literatur
gleichberechtigt 'Digital' und 'Literatur' - ist sie eine Kunstform, die ohne
PC und Internet niemals möglich wäre und deren Genese daher eher technischer
Natur ist - oder werden nur alte literarische Weine aus neuen digitalen Schläuchen
getrunken?
Christiane Heibach:
Ich persönlich würde zu der ersten Interpretation neigen, aber das
ist keinesfalls kanonisch - wie kaum etwas in diesem Bereich bisher in irgendeiner
Weise normativ festgelegt ist, schon gar nicht der Begriff "digitale Literatur".
Es gibt - gerade im Bereich der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, die gerade
erst begonnen hat - mehrere Sichtweisen auf computerbasierte literarische Formen
sowie Literatur im Internet. Relativ klar ist wohl, dass digitale Literatur
nicht im luftleeren Raum entstanden ist, sondern tatsächlich auch Traditionslinien
der Printliteratur fortsetzt. Die Arbeiten von Reinhard Döhl z.B. orientieren
sich sehr stark an der konkreten Poesie, geben ihr aber neue Impulse durch Effekte,
die nur durch Programmierung zu erreichen sind. Andere Formen, z.B. kooperative
Schreibprojekte, können ebenfalls auf eine längere Tradition zurückblicken,
ebenso computergenerierte Literatur, die - wie Florian Cramer in seinen Permutationen
schön zeigt, z.T. auf die lange Tradition der kombinatorischen Dichtung
zurückgreift. Dennoch glaube ich, dass computer- und netzbasierte Literatur
einen ganz eigenen Charakter entwickeln wird, und dieser hängt mit der
eminenten Abstraktionsebene ab, auf die diese Art von Literatur aufbaut. Wir
haben es hier - erstmals - mit Schichtungen von Symbolebenen zu tun, durch die
das erzeugt wird, was der Betrachter am Bildschirm zu sehen bekommt. D.h. die
Programmiersprachen und auch die Weblayoutsprache HTML werden einerseits zu
Objekten künstlerischer Produktion, andererseits aber auch zu einem Thema
der Literaturwissenschaft, wenn sie den in den letzten Jahrzehnten sehr ausgedehnten
Textbegriff ansetzt. Dann muss sie auch die Programmiersprachen zu ihrer Zuständigkeit
erklären. Dass ist bei weitem nicht soweit hergeholt, wie es jetzt klingen
mag; nur ist das Bewusstsein der Geisteswissenschaften noch nicht so weit gediehen.
Von Seiten der Programmierer sieht das anders aus: So gibt es inzwischen eine
Society for Aesthetics in Computing and Mathematics, die sich mit der Ästhetik
von Algorithmen befasst, ebenso werden aber Programmiersprachen als Code inzwischen
auch für die literarische Produktion fruchtbar gemacht, wie z.B. in den
Pearl-Gedichten, die sowohl als Code als auch als ausführbares Programm
ästhetischen und poetischen Charakter entwickeln. Man müsste demnach
z.B. auch - wie es Florian Cramer fordert - Computerviren zu den netzliterarischen
Formen zählen, denn sie erzeugen Abweichungen von der Norm und verbreiten
sich über die Vernetzung von Computern. Andererseits haben wir es aber
auch mit einer Veränderung der traditionellen Zeichensysteme zu tun: Text
kann nun einerseits stark mit Bild und Ton interagieren, und zwar - was bisher
kaum möglich war - in dynamischer Form und andererseits kann durch Programmierung
Text in Bild oder Ton bzw. vice versa verwandelt werden, so dass die relativ
eindeutige Funktionalisierung von Zeichensystemen ins Fliessen gerät. Insofern
würde ich sagen, dass wir zwar einerseits die Traditionslinien, auf denen
digitale Literaturformen aufbauen, nicht aus den Augen verlieren dürfen,
andererseits aber dürfen wir auch nicht blind sein für die - meiner
Meinung nach - zweifellos neuen Formen literarischer Produktion, die sich aus
der Benutzung von Computer und Internet ergeben.
Im Rahmen der Ausstellung
fand ein wissenschaftliches Symposium zum Thema 'Ästhetik digitaler Literatur'
statt, nach den vielen ökonomischen Versuchen diese Literaturform in Wettbewerben
zu hypen, wird digitale Literatur jetzt endlich die notwendige wissenschaftliche
Anerkennung zuteil, oder geht es um mehr?
Christiane Heibach:
Zumindest innerhalb der etablierten deutschen Literaturwissenschaft ist das
Thema digitale Literatur/Netzliteratur immer noch ein Außenseiterthema.
Der zumeist angewandte Literaturbegriff, auf den die meisten Literaturwissenschaftler
aufbauen, ist der printliterarische des fixierten Buchstabens. Hinzu kommt auch
eine gewisse kanonische Arroganz, die - zumeist ziemlich vorschnell - der digitalen
und Netzliteratur die poetische Qualität abspricht. Daran haben bisher
auch die Wettbewerbe nicht viel geändert - die ZEIT hat den Pegasus-Internet-Literaturwettbewerb
sterben lassen und die anderen Wettbewerbe dümpeln eher am Rande der öffentlichen
Aufmerksamkeit vor sich hin. Die Suche nach dem "Ulysses" der Netzliteratur,
wie sie z.B. Hermann Rothermund betreibt, spricht für die immer noch vorhandene
printliterarische Bindung Bände und deutet darauf hin, dass die ontologische
Seite der Betrachtung, nämlich die Frage nach der Verfasstheit des Mediums,
mit dem gearbeitet wird, völlig außer acht gelassen wird. Legt man
nämlich diesen Ansatz zugrunde, wird deutlich, dass printliterarische Kategorien
- wenn überhaupt - nur zu einem geringen Teil auf Computer- und Netzliteratur
übertragen werden können. Gleichzeitig aber geht es tatsächlich
auch um mehr: Die Etablierung eines an zwei Universitäten, nämlich
Erfurt und Kassel, verorteten, jährlich stattfindenden Forums zum Thema
digitale Literatur hat zweifellos auch einen Demonstrationseffekt und ist damit
quasi ein geisteswissenschaftliches Politikum. Eines ihrer wesentlichen Ziele
ist es, die Verkrustungen des Denkens aufzubrechen, die sich - Dekonstruktion
hin, Dekonstruktion her - dennoch in der Literaturwissenschaft festgesetzt haben.
Es geht daher auch darum, die Aufmerksamkeit - nicht nur der Wissenschaftler,
sondern auch der Öffentlichkeit - für ein Thema zu wecken, von dem
die Literatur nur ein Teil ist. An den neuen literarischen Formen, die sich
mit und durch den Computer entwickeln, lässt sich nämlich eines sehr
gut demonstrieren: Wir haben es generell mit einem grundlegenden Problem zu
tun, nämlich der Ablösung des Leitmediums Buch durch das Leitmedium
Computer (was nicht heißt, dass das Buch verschwindet, es gibt nur seine
hegemoniale Stellung ab) und den damit einhergehenden gravierenden epistemologischen
Veränderungen. Was die Geisteswissenschaften - und v.a. die Literaturwissenschaft
- nun machen müssten, wäre, diese Bedingungen zu analysieren, unter
denen diese Ablösung vonstatten geht und - ähnlich wie Michael Giesecke
es für den Wechsel von der Manuskript- zur Buchdruckkultur gemacht hat
- die Folgen aufzuzeigen. Wir haben es derzeit mit der Formierung von zwei völlig
verschiedenen Wahrnehmungssystemen zu tun, und die jetzt aufwachsenden Generationen
werden sehr viel eher mit dem Computer konfrontiert als mit dem Buch. Die Brücke
zwischen diesen beiden Epistemologien zu bauen, wäre meines Erachtens daher
eine der großen - und zweifellos eminent gesellschaftsrelevanten - Aufgaben
der Literaturwissenschaft. Genau darauf versuchen wir mit der Etablierung des
Themas im institutionalisierten akademischen Kontext aufmerksam zu machen. Weitergedacht
bedeutet das aber auch, dass die Fachgrenzen überschritten werden müssen,
da wir es nicht nur mit einer Veränderung der Zeichensysteme, sondern auch
der sozialen Strukturen und der Wahrnehmungsgewohnheiten zu tun haben, deren
Analyse eine Einbeziehung der Sozialwissenschaften, der Psychologie und auch
der Informatik erfordert.
Friedrich Block:
Ich will nur soviel ergänzen: Ob wir es tatsächlich mit zwei völlig
verschiedenen Wahrnehmungssystemen zu tun haben - diese Annahme sollte die Wissenschaft
erst einmal überprüfen. Und zwar empirisch. Dazu ist man, ich stimme
Christiane unbedingt zu, auf Interdisziplinarität und einen erweiterten
Literaturbegriff angewiesen. Digitale Literatur zwingt zu Beobachtungsperspektiven,
die die 'Kunst der Interpretation' endgültig verabschieden. Nun steht die
Materialität der Kommunikation schon seit längerem hoch im Kurs. Nur
würde ich die Literaturwissenschaft auch ungern auf Medienmaterialität
eingrenzen. Dazu mag eine Gattungsbezeichnung wie 'digitale Literatur' verlocken.
Die Beobachtung von Wahrnehmungssystemen in der Kunst verlangt nach einem Wissenschaftskonzept,
das Kunst bzw. Literatur als ein mehrdimensionales System entwirft, das nicht
nur das Technische bzw. die Medialität der Werke berücksichtigt (aber
immerhin!), sondern auch Akteure und ihre kognitiven Erfahrungsbereiche, Kommunikationsverfahren
sowie Formationen kulturellen Wissens. Ein Schritt in diese Richtung ist unter
anderem, dass die Foren in Kassel und Erfurt Wissenschaftler und Künstler
gleichberechtigt zusammenbringen und weiterhin mit verschiedenen Formen der
Präsentation und des Gesprächs experimentieren werden.
Die Ästhetik der
Netzliteraten wird oft mit Vilem Flusser und Baudrillard in Beziehung gesetzt.
Hat die Diskussion um Verflüssigung und Flüchtigkeit heute noch Belang?
Was ist aus dem Fluch des Simulakrums geworden?
Christiane Heibach:
Zunächst einmal würde ich sagen, dass es DIE Ästhetik der Netzliteraten
eigentlich nicht gibt. Die Ziele und Wurzeln der verschiedenen Formen von Internetliteratur
und auch von digitaler Literatur sind sehr unterschiedlich, ebenso sind es ihre
Erscheinungsformen. Wir haben es mit einer sehr jungen Entwicklung zu tun, mit
sehr divergenten Phänomenen. Das Problem der meisten Medientheoretiker
ist es, dass sie sich selten an dem orientieren, was in der Medienpraxis tatsächlich
umgesetzt wird - und das hat oft recht wenig mit den theoretischen Postulaten
der Philosophen zu tun. Vilém Flusser legt den Fokus in seiner Philosophie
sehr stark auf das Dialogische und sieht in der Vernetzung von Computern eine
Möglichkeit, die einkanaligen Medien (die Informationen breit streuen,
aber die kommunikative Rückkopplung nicht beinhalten) in ihre Schranken
zu weisen zugunsten des vernetzten Gesprächs. Dies ist eine visionäre
Idee, die uns einen Leitfaden zur Verfügung stellen kann, in welche Richtung
wir die derzeitige Entwicklung beeinflussen können. Auch aus seiner Betrachtung
des Computers können gerade für die digitale Literatur und Netzliteratur
Impulse kommen, denn er sagt sehr richtig, dass der Computer ein Medium der
Oberfläche ist, d.h. er verlangt andere Wahrnehmungsformen als das Buch
- und damit auch andere Darstellungsformen. Die Flüchtigkeit, aber vor
allem die Transformation von Zeichensystemen (und Flusser behauptet hier, dass
wir vielmehr über Farben und Bilder kommunizieren werden, als über
den alphanumerischen Code) ist dabei sicher eines der Hauptthemen, mit denen
wir uns auseinander zu setzen haben: die Entwicklung neuer bedeutungsvermittelnder
Systeme, die viel eher auf eine Neuformierung synästhetischer Kommunikation
(wie sie bisher nur das Face-to-face-Gespräch leisten kann) abzielt. Doch
gerade an diesem Punkt scheint mir McLuhan nach wie vor derjenige zu sein, von
dem wir am meisten lernen können, denn er entwickelt eine "Ontologie
der Sinne", d.h. er betrachtet die elektronischen Medien unter dem Aspekt,
inwieweit und in welcher Form unser gesamtes Wahrnehmungspotential angesprochen
werden kann. Was Baudrillard betrifft, haben wir es mit einem Medientheoretiker
zu tun, der wenig Impulse für den derzeitigen Wandel geben kann. Die Simulation
ist ein Stichwort, das mir in bezug auf den Computer zu einfach gestrickt ist.
Hier wird es weniger um Simulationen gehen, als um Welterzeugungen, die nicht
mehr Repräsentationen unserer Umwelt darstellen. Ich glaube auch, dass
die vernetzte Kommunikation genau das unterläuft, was Baudrillard vor allem
den Massenmedien unterstellt: nämlich die Selbstinszenierung als einzigen
Zweck, ohne weitergehende Ziele zu verfolgen. Diese Selbstinszenierung sehen
wir natürlich im politischen Bereich, in dem in erster Linie medienwirksame
Effekte erzeugt werden; aber so gesehen war Politik schon immer Simulation,
d.h. sie macht prinzipiell nie die Ziele transparent, die sie eigentlich verfolgt.
Die Vernetzung hingegen erzeugt ein subversives Potential, das genau diese Tendenzen
unterlaufen kann (wobei natürlich auch der Selbstinszenierung Raum gegeben
wird), da der Grad der Einflussnahme größer wird. In dem Masse, in
dem das Internet zur kommunikativen Plattform wird, zu der jeder (mit entsprechender
Ausrüstung) Zugang hat, wird es auch möglich, Protestaktionen weltweit
zu inszenieren und somit die Simulation durch vielfältigen Informationsfluss
zu entlarven. Es wird für Staatsorgane damit zunehmend schwieriger, den
Diskurs zu kontrollieren. Diese Aspekte lässt Baudrillard völlig außer
acht, so wie er - gerade weil er sich nicht mit einer "Ontologie des Mediums"
auseinandersetzt - niemals versucht, die Struktur der Medien, die er kritisiert,
zu analysieren. Insgesamt denke ich, dass wir als Wissenschaftler (die Künstler
als Medienpraktiker tun dies ja längst schon) vielmehr von der Basis konkreter
Analysen ausgehen müssen, also erst einmal das Feld dessen sondieren müssen,
was beobachtbar ist, um von dort ausgehend an der Praxis orientierte Theorien
zu entwickeln, die v.a. die Aufgabe haben, Leitlinien für die zukünftige
Gestaltung des Medien- und Gesellschaftssystems zu geben. Wir stehen damit vor
einer eminent ethischen Herausforderung."
!! NEU !! >> zur aktuellen Aufteilung von
verschiedenen "KOLLEKTIVEN
PRODUKTIONSFORMEN IM INTERNET" (nach Christiane Heibach) >>
Partizipation erklärt Christiane Heibach aus einer Oszillation zwischen
der Benutzeroberfläche (ästhetische Realisierung) und der sozialen
Aspekte computerbasierter Vernetzung (Interaktion) auf dem Hintergrund der technischen
Paradigmata (Programmier- und Prozessebene) als "Gegensatz zur reinen Klickkultur
der oft inflationär angepriesenen Interaktivität." Partizipation
ist transformativ; hier einige Festlegungen partizipativer Formen nach Heibach:
"· Feedback und Diskussionen: Die einfachste und traditionell
orientierte partizipative Form findet sich in den fast nie fehlenden Aufforderungen
zur Diskussion oder Meinungsäußerung zu einem Werk durch Einfügung
eines E-Mail-Links oder durch Gästebücher. Weitergehend werden teilweise
auch projektspezifische Diskussionsforen oder Chats begründet, wie dies
z.B. bei Olivia Adlers Café Nirwana der Fall ist, in dem die Figuren
einer fiktionalen Erzählung darüber hinaus ein Eigenleben verliehen
bekommen - sie erhalten eigene Homepages und treten als Mailgesprächspartner
auf. Dadurch entsteht ein komplexes Kommunikationsgeflecht, das zugleich die
Grenzen zwischen Fiktion und Realität auf raffinierte Weise unterläuft.
· Kontrolliert-partizipativen Projektnetzen wie Guido Grigats
Erinnerungsuhr 23:40 oder Martina Kieningers Tango liegt häufig ein Themenkonzept
zugrunde, das dann von den Beteiligten in einem eigenen Projekt aufgegriffen
wird. Olga Kisselevas How are You, eine Frage, die sie zahlreichen Menschen
verschiedener Länder stellte, beruht auf deren Antworten, die Kisseleva
dann zu einem ästhetischen Textgewebe knüpfte. Kontrolliert sind diese
Projekte deswegen, weil jeweils eine zentrale Stelle redaktionell eingreift.
· Non-partizipatives work-in-progress: Eine andere Form der kommunikativen
Ästhetik bietet das Heaven & Hell-Projekt von Olia Lialina und Michael
Samyn, bei dem aus der im WWW dargestellten E-Mail-Kommunikation zwischen beiden
Künstlern neue, aus dem Gespräch resultierende Web-Seiten entstehen.
Unter diese Kategorie fallen auch kollaborative Projekte von mehreren Autoren,
wie z.B. Aliento von John A. Fife, Maximilian Gill und Udhaya Kulandaivelu,
das auf der Basis des Grundrisses einer fiktiven Stadt an verschiedenen Orten
unterschiedliche Geschichtenstränge verankert und miteinander vernetzt
- ein Werk, das von den Autoren kontinuierlich fortgeschrieben wird.
· Mitschreibeprojekte wie Beim Bäcker, von Claudia Klinger
ins Leben gerufen, verlangen wirkliche literarische Produktion, bei denen der
Nutzer an der von seinen Vorgängern entwickelten Geschichte weiterschreibt.
Im Falle der Bäcker-Thematik entsteht ein Geflecht aus einzelnen Erzählungen,
die sich in verschiedener Hinsicht (durch Aufgreifen der Charaktere oder Einschalten
in die gerade entwickelte Handlung) aneinander anschließen. Die Hypertexttrees
von gvoon verfolgen ein anderes Konzept: sie schaffen ein rhizomatisches Textgeflecht
zu einem Thema, bei dem sich der Beteiligte auf einen schon vorhandenen, von
ihm gewählten Text bezieht. Eine besondere Form des Mitschreibeprojekts
stellt der Wandertext Baal lebt dar, der von Autorenhand zu Autorenhand geht
und jedesmal eine Transformation erfährt.
· Explorativ-partizipative Werke: Ebenfalls eine Form der Kommunikation
mit dem Nutzer kann in solchen Projekten gefunden werden, bei denen der Nutzer
durch seinen Pfad, den er sich schafft, das Projekt verändert - dies geschieht
momentan noch hauptsächlich auf der technischen Ebene, indem bei längerer
Navigation Text- oder Bildsegmente bei wiederholtem Aufrufen variieren. Vorstellbar
wäre, daß diese Form der Partizipation des Nutzers noch sehr viel
stärker ausgeweitet wird, so daß er bewußt das Projekt mitgestaltet
bzw. durch seine Aktivität eine neue, von ihm geprägte Version des
Projektes schafft. Der Sieger des Pegasus-Wettbewerbs 1998, Die Aaleskorte der
Ölig von Dirk Günther und Frank Klötgen, praktiziert dies in
etwas eingeschränkter Form, indem dem Nutzer verschiedene Möglichkeiten
zur Zusammenstellung einer Geschichte aus Film- und Textsequenzen zur Verfügung
gestellt werden. *snowfields* von Josephine Berry und Micz Flor lädt dazu
ein, auf der Basis einer in Quadrate unterteilten Karte von Ostberlin zu jedem
topographischen Gebiet eine Geschichte zu entwickeln. Allerdings überwiegt
hier eher die Verwirrung, da (unter Einführung der Tech-Ebene) die vom
Teilnehmer eingegebenen Texte wiederum durch einen Zufallsgenerator mit den
schon vorhandenen Texten gemischt werden und anderen Ortes in anderem Kontext
wieder auftauchen können. Dem Autor wird insofern die kreative Kontrolle,
die er zu erhalten vermeinte, sofort wieder genommen.
· Partizipative Kommunikationsumgebungen: Die ausgefeilteste Form
der Oszillation von Desk und Soz bilden aber VR-Umgebungen, wie sie das finnische
Projekt von Meetfactory in Conversation with Angels realisiert hat. Dort wird
der Nutzer tatsächlich als integraler Gestalter benötigt, quasi immersiv
in diese Welt hineingezogen und kann sie durch seine Aktivitäten mitgestalten.
Die Vorformen dessen finden sich in den MUDs und MOOs, die heute immer mehr
als ästhetische Forschungsobjekte erkannt und behandelt werden. (1) Sie
leben von dem ephemeren Kommunikationsfluß zwischen den Teilnehmern oder
- und hier kommt die dritte funktionale Ebene ins Spiel - von Teilnehmern mit
technisch generierten Bots (wobei diese nicht als solche gekennzeichnet sind).
In solchen VR-Projekten also findet sich die derzeit expliziteste Oszillation
aller drei funktionalen Ebenen des Netzes, doch sie sind schon ein Vorbote dessen,
was sich vielleicht als spezifische ästhetische Form des Netzes manifestieren
wird, da sie auf der semiotischen Ebene eine Art "drittes" Phänomen
darstellen: Indem die Video- und Bildintegration zur computeranimierten Bewegung
wird, die der Nutzer steuern kann (wobei er sich durch einen ihm zugeordneten
Avatar selbst beobachtet), und der Text als Gesprächs- bzw. Gestaltungselement
integraler Bestandteil des "Werkes" wird, die einzelnen Situationen
zusätzlich noch mit Tonelementen untermalt werden, entsteht eine intermediale
virtuelle Umgebung, die der Teilnehmer mit Leben füllt und dadurch zu einer
virtuellen Realität macht. Solche Projekte sind durch einen stark spielerischen
Charakter gekennzeichnet, wobei gestaltende Partizipation im ästhetischen
Raum ausgesprochen häufig die Grenze zwischen Kunst und Spiel überschreitet.
* * *
Betrachtet man diesen kurzen Abriß der Einordnung von Netzkunst in die
Kunstgeschichte als logische Folge der immer stärker gewordenen Verbindungstendenzen
von Ästhetik und Sozialem und akzeptiert man die These, daß das wirklich
Netzspezifische eben in der Verflechtung von Technik, Ästhetik und Sozialem
liegt - genauer gesagt: einerseits das "Inter-" als strukturelles
Element und Oberbegriff für den Oszillationsprozeß, andererseits
die Kommunikation als immanentes Element der Realisierung -, so ist der Weg
zu einer Ästhetik, die Kommunikation als konstitutives Element benötigt,
nicht weit: Damit wären wir bei dem Konzept einer "Ästh-ethik",
in der Kunst von der Partizipation lebt - in welcher Form auch immer. Auch die
Tendenz zur Verdichtung des Globalen weist in diese Richtung: im Netz realisiert
sie sich in Form einer Verbindungs-/Trennungs-Oszillation, die Vernetzungen
verschiedenster Perspektiven und Kulturen ermöglicht und so eine Nivellierung
der Divergenzen verhindert. Sie beruht damit auf einer wirklich kommunikativen
Verbindung der einzelnen Teile (noon quilt und Heaven & Hell sind dafür
gute Beispiele) und ist in dieser Form eine explizite Manifestation des ästh-ethischen
Charakters des Netzes. Idealistisch weitergedacht würde sich dann vielleicht
das realisieren, was Marshall McLuhan und Vilém Flusser in ihren Visionen
einer vernetzten Welt schon konzipierten: eine auf kooperativer Kreativität
basierende Gesellschaft, die nach dem Motto lebt: "creamus, ergo sumus".
So könnte Roy Ascotts Utopie des Gesamtdatenwerks tatsächlich als
Leitfaden für eine spezifische Netzästhetik dienen:
'Wir suchen, kurz gesagt, nach einem GESAMTDATENWERK. Ort der Arbeit an und
der Handlung für ein solches Werk muß der Planet als Ganzes sein,
sein Datenraum, seine elektronische Noosphäre. Die Dauer des Werkes wird
letztlich unendlich sein müssen, da das Werk, das eine Unendlichkeit von
Interaktionen, Inputs und Outputs, Zusammenarbeit und Verbindungen zwischen
seinen zahlreichen Mitarbeitern haben muß, stets in Bewegung und im Fluß
sein müßte. Nachdem Wechselseitigkeit und Interaktion die Essenz
darstellen, kann ein solches Werk nicht zwischen "Künstler" und
"Betrachter", zwischen Produzenten und Konsumenten unterscheiden.
An einem solchen Netzwerk teilzunehmen, bedeutet stets, an der Schaffung von
Bedeutung und Erfahrung mitzuwirken. Die Rollen können nicht auseinandergelegt
werden. Man kann nicht mehr länger am Fenster stehen und die von jemand
anderem komponierte Szene betrachten, man ist vielmehr eingeladen, die Tür
zu einer Welt zu durchschreiten, in der Interaktion alles ist.' (2)"
(1) Vgl. z.B. Murray, Janet H.: Hamlet on the Holodeck. The Future of Narrative
in Cyberspace. New York u.a. 1997, und Aarseth, Cybertext.
(2) Ascott, Gesamtdatenwerk, S. 106.
In: Christiane Heibach: Creamus, ergo sumus. Ansätze zu einer Netz-Ästhetik.1999,
http://www.update.ch/beluga/digital/99/heibach.htm
>> zur aktuellen Aufteilung von verschiedenen "KOLLEKTIVEN PRODUKTIONSFORMEN IM INTERNET" (nach Christiane Heibach) >>
***
Zu den Konzepten der kollaborativen Autorschaft (allgemein) in Neuen Medien vgl. Lev Manovichs "Models of Authorship in New Media" (2002):
"New media culture brings with it a number of new models of authorship which all involve different forms of collaboration. Of course, collaborative authorship is not unique to new media: think of medieval cathedrals, traditional painting studios which consisted from a master and assistants, music orchestras, or contemporary film productions which, like medieval cathedrals involve thousands of people collaborating over a substantial period of time. In fact, romantic model of a solitary single author occupies a very small place in the history of human culture.
[...]
The commonality of menu
selection / remixing / sampling / synthesis / open 'sourcing' in contemporary
culture calls for a whole new critical vocabulary to adequately describe these
operations, their multiple variations and combinations. One way to develop such
a vocabulary is to begin correlate the terms that already exist but are limited
to particular media. Electronic music theory brings to the table analysis of
mixing, sampling, and synthesis; academic literary theory can also make a contribution,
with its theorizations of intertext, paratext, and hyperlinking; the scholars
of visual culture can contribute their understanding of montage, collage and
appropriation. Having a critical vocabulary that can be applied across media
will help us to finally accept these operations as legitimate cases of authorship,
rather than exceptions. To quote Poscardt one last time, "however much
quoting, sampling and stealing is done - in the end it is the old subjects that
undertake their own modernization. Even an examination of technology and the
conditions of productions does not rescue aesthetics from finally having to
believe in the author. He just looks different." (Lev Manovich, Models
of Authorship in New Media, Volltext auf:
http://www.manovich.net/DOCS/models_of_authorship.doc)
0.) materialien
2.) aus der gutenberg- in die turing-galaxis
3.) zur überlegung (fragestellungen)
4.) zur anregung (zitatenreader)
5.) quellen
6.) weitere links